Es war noch in meiner Zeit in Herne. Ich hatte kurzfristig für einen erkrankten Kollegen die Messe übernommen. Da ich aber ‚auf die Schnelle‘ keine Predigt mehr machen konnte, mich für das spontane Wort nicht fit genug fühlte und meine eigenen ‚alten‘ abgestanden fand, bot er mir an, seine zu überlassen – die ich dann auch, so gut wie möglich, ‚vortrug‘. Aber mehr war es auch nicht! Die Predigt war an sich gut… aber es waren eben nicht meine, es war nicht ‚durch mich durch gegangen‘. Ich konnte sie nicht verkörpern.
Wir kennen das: zwei Menschen sagen exakt das Gleiche – und doch: Bei dem einen packt es uns, beim anderen hören wir gar nicht hin. Worte allein wecken kaum Aufmerksamkeit. Das Entscheidende ist die Glaubwürdigkeit der Person, die für das Gesagte einsteht. Dabei geht es nicht um rhetorische Brillanz. Es kann sein, dass ein Mensch ungeschickt formuliert, aber ich nehme ihm ab, was er sagt. Der Mensch ist glaubwürdig und deshalb sind es auch seine Worte. Die Kommunikationswissenschaften bestätigen diesen Eindruck: 80% der Wirkung einer Botschaft hängen an der Person des Boten, nur 20% am Inhalt.
„Alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen, und sagten: Ist das nicht Josefs Sohn?“ Von Jesus wird berichtet, dass er als Prediger eine außerordentliche Wirkung gehabt haben muss. Selbst durch die Ablehnung wird deutlich: Was er gesagt hat, ist ‚angekommen’. Sein Vorwurf trifft sie ins Herz. Hätte Jesus das, was er gepredigt hat, nicht auch verkörpert, dann hätten die Leute nicht versucht ihn den Abhang hinabzustürzen, dann wären sie vermutlich während seiner Predigt eingeschlafen.
Im Streit um die Ablehnung Jesu wird etwas von seiner Wirkung damals erahnbar: Das, was Jesus redete und lebte und tat war in einer Weise identisch, dass die Menschen spürten: Hier begegnet uns mehr als einem Menschen möglich ist. Hier begegnet uns etwas von der Liebe und Güte Gottes selbst. Da ist einer, der verkörpert Göttliches! Johannes formuliert es am Ende des 1. Jahrhunderts weihnachtlich: „Das Wort ist Fleisch geworden“. Jesus verkörpert Gott.
An der Stelle wird’s konkret für uns. „Das Wort ist Fleisch geworden“ – das soll bis heute geschehen. Das ist der einzige Sinn der Kirche: Jesus heute eine konkrete Gestalt zu geben. Tun wir es nicht, nennen uns aber Christen, wird es zum Skandal. Das ist die Größe und das Drama der Christenheit seit ihrem Bestehen. Neben beeindruckenden Verkörperungen der Botschaft Jesu (Franziskus/Aloysius) unzähligen Menschen, die zutiefst redlich, nachdenklich, konsequent ihren Glaubensweg gehen, gibt es dramatische Fehlentwicklungen, Egoismen und Borniertheiten (auf allen Ebenen, von der Hierarchie bis zur Basis).
Doch schauen wir noch einmal tiefer auf das Thema: Was heißt das, eine Sache verkörpern? Eine Begegnung, ein Erlebnis hat einen Menschen so ‚gepackt’, dass er von ihrer Sache ganz durchdrungen wird. Person und Anliegen gehen ineinander, werden eins.
Doch ist das nicht mehr bedenklich als ideal? Klingt das nicht totalitär? Ist etwas Abstand zu einer Idee, ja selbst zum edelsten Anliegen nicht gut, ja notwendig? Und gilt das nicht auch für den Ruf Gottes, für die Berufung zum Christ-sein?
Es gibt den theologischen Begriff von der Kirche als „fortlebender Christus“. Das klingt hoch ideal, Menschen wie Franziskus oder Aloysius haben genau das gelebt; dennoch: Wir sind nicht Christus! Ohne dass da ein Abstand zwischen uns und IHM ist, kann es spirituelle schnell fragwürdig werden und überdrehen.
Dabei sind wir, mit einer gewissen Skepsis einem „totalen“ Nachfolgebegriff gegenüber, in bester Gesellschaft. Die biblischen Berufungsgeschichten, wie die von Jeremia, die wir gerade gehört haben, Doch erzählen diese Geschichten auch, wie Gott nicht lockerlässt, bis Menschen verstanden haben, welchen Weg Er mit ihnen ganz persönlich gehen will. So spricht auch Jesus nicht alle in gleicher Weise an, sondern sehr persönlich: Petrus hat einen anderen Auftrag als Maria Magdalena, Zachäus ruft er anders als Johannes, seinen Lieblingsjünger.
Wie will er durch mich ‚verkörpert’ werden? Diese Frage möchte ich Ihnen/Euch heute mitgeben. Bestimmt bedeutet es nicht, etwas aus meinem Leben zu ‚machen’ – etwas anderes als ich bin! Im Gegenteil geht es darum, zu erkennen, wer ich bin, auf Entdeckungsreise zu gehen: Wo mich einmal eine Begegnung oder ein Schicksalsschlag so gepackt haben, dass mir dadurch etwas von meinem Lebensauftrag klarer wurde; wo mir eine Glaubenserfahrung geschenkt wurde. Für uns, als Kirche gilt dasselbe. Die Zeiten sind vorbei, dass wir meinen, wir müssten irgendetwas aus uns machen, mehr scheinen als sein. Auch für uns als Gemeinschaften und Gemeinden bedeutet es, Vertrautes hinter uns zu lassen und vor die Türen zu gehen, um zu erspüren, wie heute sein Wort durch uns ‚Verkörpert‘ werden will.
Dabei gilt auch für uns: So verschieden wie wir als Menschen sind, so verschieden die Art, wie Gott uns anspricht. Das gilt es zu erkennen: Das, was wir an den Gestalten der Bibel sehen können, will in meinem Leben geschehen. Da wird nicht von Maria und Martha, vom blinden Bartimäus, vom verlorenen Sohn oder den Frauen am Grab erzählt, sondern von MIR! Ich verkörpere sie heute. Ich bin der verlorene Sohn, Maria und Martha, der blinde Bartimäus. Jetzt, in dieser Feier, können wir uns für diesen Weg stärken. Um es mit einem Wort des Hl. Augustinus zu sagen: „Empfangt, was ihr seid: Leib Christi, damit ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“. Amen.