1. Es war vor ein paar Jahren in Herne: Eine Frau, der ich die Hl. Kommunion nach Hause gebracht hatte, musste in ein Pflegeheim – gebrechlich, spürbar an den Grenzen des Lebens. Sie sah mich als Vertrauten und bat mich, mit ihr an Stelle der Sozialarbeiterin den für das Heim notwendigen Biographiebogen auszufüllen. Es war ein mich ungemein bewegendes Gespräch. Mit großer Klarheit schaute sie, wie von einem hohen Berg, auf ihr langes Leben zurück. Von oben herab erkennt man die Windungen und Sackgassen, die man, damals unmöglich erkennen konnte. Es war ein durch Dankbarkeit und durch Schmerzen reif gewordener Blick – eine Klarheit war in ihr gewachsen, was im Leben zählt und was zweitrangig ist.

Das fängt etwas von der Atmosphäre unseres Evangeliums auf. Unser Text ist kein unmittelbarer Erfahrungsbericht, sondern: Stellen wir uns Jüngerinnen/Jünger Jesu vor, die mit großem Abstand, vom Ende ihres Lebens her, noch einmal auf das Jahrzehnte zurückliegende Ereignis und auf den Menschen blicken, der seitdem ihr ganzes Leben bestimmte.

Die Geschichte ist ein dem schon fertigen Evangelium später angehängter Nachtrag. Das wird gar nicht kaschiert. Das ganze Johannesevangelium entsteht im Übergang von der ersten zur zweiten Generation der Christen – und hier schaut noch einmal jemand resümierend: Wie war das damals eigentlich, nach der Auferstehung? In der Rückschau wird Vieles klarer, auch bei den Jüngern. Manches Wort Jesu verstehen sie erst jetzt, manchen ‚blinden Fleck‘ kann man erst jetzt eingestehen und versöhnt anschauen.

2. Darin hat sie auch für uns einen Wert. Voller Symbolik ist die Geschichte, keine Wendung ist zufällig. Ich möchte mich beschränken, auf den reichen Fischfang zu schauen. Das Gespräch Jesu mit Petrus, das mindestens ebenso lohnend ist, ist noch einmal ein ganzer Kosmos für sich.

Die Atmosphäre zu Beginn ist bedrückend: „Sagt Petrus: Ich gehe fischen. Sagen die anderen: Wir kommen auch mit… In jener Nacht aber fingen sie nichts!“ Frustrierter geht’s nicht! Nichts scheint geblieben von ihrem Idealismus. Als er noch da war… was hatte das Leben für einen klaren Sinn, man wusste, wofür man sich engagiert, selbst, wofür man Anfeindungen in Kauf nimmt.

Der Abstand der Jahre lässt sie es klar sehen: Wir wussten damals gar nicht, was wir ohne ihn anfangen sollten. Also gingen wir ins frühere Leben zurück, an den See, fischen. Irgendetwas muss man ja machen. Aber das ging nicht mehr. Die Netze, die wir auswarfen, blieben ständig leer. Wir waren völlig orientierungslos, haltlos. Jesus hatte uns zu sehr verändert – aber: Was bleibt von ihm ohne seine spürbare Nähe

Doch er ist da! Sie waren nur blind für ihn. In der Rückschau fragen sie sich: Wie konnte das sein? Er ging mit uns, aber wir erkannten ihn nicht (ähnlich wie es bei den Emmausjüngern war) So auch dieser Mann am Ufer: „Werft die Netze auf der rechten Seite aus…“. Ein Ratschlag, dem sie aus reiner Ratlosigkeit folgen, denn es widerspricht all ihrer Erfahrung.

Ein Zeitsprung zu uns: Ist es nicht heute wie damals? Wir tun so, als wüssten wir genau, wie Kirche gut gelingen kann, wie Gemeinde „geht“. Es ging doch vor dreißig/vierzig Jahren? Warum bleiben die Netze leer?

Und was ist damals geschehen, als die Netze plötzlich voll waren – in dem Moment, als sie etwas völlig Widersinniges tun? Unser spontaner Impuls mag sein: Das ist ein Wunder, das in der Bibel geschieht – aber in unserer durchorganisierten Gesellschaft und Kirche nicht mehr geht! Ich befürchte, so denken wir!

3. Aber vielleicht stimmt es ja doch? Vielleicht geschieht dieses Wunder auch heute… nur erkennen wir es nicht? Vielleicht sind wir den Jüngern, die skeptisch auf den Unbekannten schauen, der ihnen sagt, sie sollten die Netze endlich woanders auswerfen sehr nah?

Versuchen auch wir mal, von oben, wie von einem Berg, mit Abstand auf unsere Zeit, Kirche, auf unsere Gemeinde zu schauen… und dabei die Verheißung beim Wort zu nehmen: Er ist DA! Dass ER auch heute bei allem präsent ist, was in unserer Gemeinde/in unseren Kirchen geschieht, in allen Auseinandersetzungen, Umbrüchen, Richtungskämpfen unserer Gesellschaft zurzeit. Und dass wir dem ganz vertrauen. Daran hängt alles!

Doch wenn es so ist – und das Feiern der Gegenwart Gottes die Mitte und das Tragende ist, was hindert uns dann, mit Energie und Mut unsere vorgespurten Wege, wie wir Kirche und Gemeinde verstehen, radikal in Frage zu stellen – und die Netze auf einer uns unbekannte Seite auswerfen?

Die kleine Geschichte, die aus einer Gemeinde von Fischern im Nordosten Brasiliens erzählt wird, mag ihnen bekannt sein: „Einer der Fischer stellt beim Bibelgespräch über die Geschichte vom reichen Fischfang die Frage: ‚Warum berief Jesus Fischer wie Petrus zu seinen Aposteln?‘ Darauf antwortete ein anderer Fischer: ‚Wer sich zu Land bewegt, bau Straßen aus Beton und Asphalt. Und er wird immer wieder diesen Weg benutzen. Ein Fischer aber sucht die Fische dort, wo sie sind. Deshalb sucht er jeden Tag einen neuen Weg, um die Fische ausfindig zu machen. Es kann sein, dass der Weg von gestern nicht zu den Fischen von heute führt‘“.

4. Im Evangelium ist ‚des Pudels Kern‘ dass die jünger erfolglos sind, weil sie immer noch an der gleichen Stelle fischen, auch wenn es da nichts mehr zu holen gibt. „Werft die Netze auf der rechten Seite aus“, sagt Jesus. Wie lange wollt ihr noch warten, bis ihr etwas wagt. Werft endlich die Netze woanders aus, nicht da, wo die Fischgründe früher waren – im 19. Jahrhundert, nach dem Konzil, in den 70er bis 90er Jahren, als Gemeinde blühte.

Schnell werden wir dem zustimmen; doch ist dabei die Gefahr, den Veränderungsbedarf vor allem dort zu sehen, wo er uns wenig berührt. Jesu haben wir damit noch nicht verstanden. Jesu Wort: löst euch vom vertrauten Ufer… trifft auch uns, unsere Gemeinde, unsere Kirche in Dortmund.

Wie gerne hätte ich jetzt eine einfache Lösung, eine Antwort auf die vielen Fragen, die ich angerührt habe. Doch wie sollte ich sie haben, sitze ich doch mit Ihnen gemeinsam im Bott, frage mich mit Ihnen gemeinsam, wie wir umgehen sollen mit der befremdlichen Weisung des Fremden am Ufer.

Deswegen ist es so gut und notwendig, zwischendurch immer wieder innerlich auf einen ‚hohen Berg‘ zu gehen, um aus diesem heilsamen Abstand zu sehen und zu hören, was im Alltag immer wieder unterzugehen droht. Jesus sagt: „Werft das Netz auf der rechten Seite aus…“ – habt Mut, löst euch vom Ufer und den vertrauten Wegen, ihr werdet einen reichen Fang machen.

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