Predigt am Patronatsfest, 8. Dezember 2024, zum 120. Gemeindejubiläum von St. Immaculata Scharnhorst

Wenn man im Internet St. Immaculata eingibt, kommt an erster Stelle – und eigentlich nur – Scharnhorst! Es gibt noch eine Realschule in Bayern, die St. Immaculata heißt – und natürlich Kirchen oder Einrichtungen, die Maria Immaculata heißen, aber als Kirche und Kirchengemeinde ist unsere Gemeinde mit diesem Namen wirklich einzigartig.

Und, ebenfalls bemerkenswert: Der Name St. Immaculata ist älter als der Ortsname Scharnhorst; den gibt es erst seit 1918. 1897 wurde eine nach dem Preußengeneral Gerhard von Scharnhorst benannte Zeche im sumpfigen Wambeler Holz abgeteuft; und seit 1903 betreute ein Kaplan der Dreifaltigkeitsgemeinde am Borsigplatz die Katholiken der neben der Zeche entstandenen Grundwaldkolonie und der „Hoeschianer“, die in der damals neuen Siedlung rund um die Rüschebrinkstraße wohnten.

Dass die neue Gemeinde ausgerechnet diesen Namen bekam hatte einen guten Grund, war doch die Kirchweihe der ersten, an der Rüschenstraße gelegenen Immaculatakirche, genau am 8. Dezember 1904, dem 50 Jahrestag des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Und die Weihe unserer heutigen Kirche war dann wiederum 50 Jahre später, 1954.

Das allein sind schon gute Gründe, auf unsere Kirche und Gemeinde stolz zu sein. Doch was bedeutet St. Immaculata eigentlich? Wenn das „Kind“ nun schon einmal so einen eigenen Namen hat, dann trägt man den am besten mit Selbstbewusstsein. Doch das geht nur, wenn man weiß, warum.

Da allerdings wird’s für manchen vielleicht etwas haarig. Erklären Sie mal einem Außenstehenden, was wir heute eigentlich feiern!? Dass Maria frei ist von etwas, das ohnehin die meisten unverständlich finden: der Erbsünde. Und dann noch: „Unbefleckt empfangen“… Hat das etwas mit Sexualität zu tun, und ist die etwas per se ‚Befleckendes‘? Kann man dieses Fest auch einem Nichtkatholiken so erklären, dass der sagen kann: Das ist wichtig für mein Leben, meinen Glauben?

Der lateinische Name kann vielleicht einen Zugang verschaffen: „Immaculata conceptio“. Immaculata bedeutet nicht nur unbefleckt, sondern auch makellos, fehlerfrei, also: „makelloses Konzept“.

Die Bibel beginnt: „Gott sah alles, was er erschaffen hatte – und siehe, es war sehr gut“! Darum geht es heute: Dass Gott die Welt gut erschaffen und gewollt hat – eben ein makelloses Konzept, Immaculata conceptio.

Doch da mag so manch einer Einwände haben: Wo ist denn die Welt gut, das Leben ohne Leid und Unrecht, wo ist der Mensch denn frei? Hat nicht eher Karl Marx Recht, wenn er sagt: Der Mensch liegt überall in Ketten“?

Man muss es eher noch stärker sagen: Gewalt, Lüge und Hass, einmal geschehen, wirken fort, gebären neuen Hass, neue Lüge. Bestimmt nicht in Wirklichkeit eine Unheilsgeschichte diese Welt und keine Heilsgeschichte mit Gott, wie die Bibel behauptet?

Als Christen haben wir für diesen Riss durch unsre Welt einen Begriff: Erbsünde. Leider haben wir die Erbsünde vorschnell in den „Giftschrank“ für schwer verdauliche theologische Begriffe gesperrt, die wir nur mit spitzen Fingern anfassen.

Für mich ist der Gedanke der Erbsünde völlig einleuchtend und täglich sichtbar. Ich muss dafür noch nicht einmal glauben, sondern nur täglich die Tageschau ansehen; ich muss nur die Augen aufmachen und nüchtern in die Welt und auf mich selbst sehen. Ich könnte es eben auch mit Karl Marx sagen: Der Mensch ist frei geboren, aber er liegt überall in Ketten. Das ist inhaltlich nahezu deckungsgleich – nur eben ohne Gott.

Nur um es klar zu haben: Als Christen glauben natürlich nicht an die Erbsünde, sondern an das Gegenteil: Dass wir von ihr befreit, dass wir erlöst sind!

Es gibt nur eine Einschränkung: Christen waren immer schon skeptisch mit Blick auf die Möglichkeiten unseres guten Willens. Wir tun halt nicht immer das Gute, das wir wollen, wir sind begrenzt, menschlich halt. Wir sind normalerweise nicht in der Lage, uns aus den Verstrickungen unseres Lebens selbst zu befreien, aber: Wir sind befreit!

Und damit sind wir beim heutigen Fest. Wir feiern, dass es gegen das Unheil, das die Menschheit und das einzelne immer wieder anrichten, eine „Gegenbewegung Gottes“ gibt. Sichtbar wird die durch Menschen, die auf Gottes Ruf antworten.

Das fällt nicht erst mit Maria „vom Himmel“. Durch das ganze alte Testament wird von solchen Menschen erzählt: Abraham, Mose, Jeremia und viele mehr, Menschen, die in ihrem Weg dem Ruf Gottes folgen, durch die etwas von Gott in der Welt aufleuchtet. Das ist keine Geschichte ohne Brüche, immer wieder gibt es Scheitern und Neubeginn, die Bibel spielt im wirklichen Leben.

Nicht wir haben im Laufe der Geschichte immer mehr zu Gott gefunden, sondern Gott hat immer mehr zu uns, zum Menschen und zur Welt gefunden. Und der Endpunkt dieser Entwicklung ist Weihnachten, die Freiheit, die uns Jesus Christus schenkt und für die Maria das Tor geöffnet hat durch ihr Wort: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“.

Es ist schwer vorstellbar, dass ihr das „einfach mal“ eingefallen ist, und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die frühen Christen schnell auf den Gedanken gekommen sind: Da sagt Maria mehr, als einem Menschen möglich ist, da war Gott selbst am Werk. Es bleibt: Das ‚Ja‘ Marias hat ein Tor geöffnet, das niemand mehr schließen kann.

Vor einigen Jahren hatte ich Freude, bei der Internationalen Ministrantenwallfahrt in Rom dabei zu sein. Das Mottolied habe ich bis heute im Ohr: „Ich bin frei, frei, dir Gott zu singen, dir zu dienen, Halleluja. Ich bin frei, frei, meinem Nächsten zu sehen, loszugehen, Gutes zu tun. Ich bin frei“. Maria zeigt: Es ist weder falsch noch naiv, so zu singen.

Ich finde: Wir können auf das Patronat St. Immaculata stolz sein, nicht zuletzt, weil Generationen von Männern und Frauen, von Jugendlichen und Kindern genau nach diesem Leitgedanken gelebt und gehandelt haben: Frei, Gott zu dienen, frei loszugehen und Gutes zu tun. Die Geschichte der Gemeinde, ihrer Engagements und Initiativen, gibt davon reichlich Zeugnis.

Stellen Sie sich vor, wir würden ein Banner an unsere Kirche heften, auf dem wir das Patronat St. Immaculata für nichtgläubige Zeitgenossen übersetzen, was könnte darauf stehen? Ich hätte einen Vorschlag: Der Mensch liegt nicht in Ketten – der Mensch ist frei – St. Immaculata.

Pastor Georg Birwer