Dass mein Leben auf einem festen Grund steht, verwurzelt und damit gehalten ist, beschreibt wohl das wichtigste Bedürfnis des Menschen.
Zunächst sind es sehr konkrete Umstände, die mir diese fundamental notwendige Gewissheit geben: Menschen, die zu mir gehören, eine Heimat und eine Wohnung zu haben, nicht um die Existenz bangen zu müssen. Wo Menschen das entbehren müssen, leben sie wortwörtlich ent–fremdet.
Der Glaube weiß noch um eine hintergründigere, spirituelle Beheimatung und Entfremdung Für die Philosophin Simone Weil (1909-1943), eine der großen französischen Existentialistinnen, Sozialrevolutionärin und Mystikerin in einer Person, war die Verwurzelung das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der Seele. Entsprechend war für sie die Entwurzelung des heutigen Menschen die tiefste und am meisten übersehene Krankheit unserer Zeit. Simone Weils Gedanken, entstanden auf dem Hintergrund der Weltkriege und des Totalitarismus, klingen bis heute prophetisch.
Und für mich klingen sie adventlich. Ohnehin empfinde ich, dass wir, nicht nur religiös, in einer adventlichen Zeit leben, in einer Welt am Abend. Wie viele beschreiben ein Lebensgefühl, dass gerade an uns ein gesellschaftlicher Prozess geschieht, in dem Grundlegendes umbricht. „Da sich die Welt zum Abend wandt, der Bräut‘gam Christus ward gesandt…“, heißt es in dem schönen, bis heute gerne gesungenen Adventshymnus Gott heilger Schöpfer aller Stern.
Die Einladung dieser kostbaren Wochen (die wir leider mehr und mehr kaputtfeiern) ist, sich auf ein einmaliges Abenteuer (englisch: Adventure = Advent) einzulassen. Dieser Weg beginnt damit, Entfremdungen, die uns beeinflussen und bestimmen wollen wahrzunehmen, aber nicht um ein anderer Mensch zu werden, sondern (eher im Gegenteil) um zu mir selbst heimzukehren und damit zu Gott zurückzukehren, der in mir wohnen und wirken will. In einem meiner Lieblingsgebete (von Hubertus Halbfass) heißt es: „Gott, nun kehr ich heim zu mir, / Gott, nun kehr ich heim zu dir. / Des Tages Stunden, des Tages Wunden, / all seine Weiten und Armseligkeiten / leg ich in deine Hände hinein: / Ganz wie ich bin, bin ich dein.“
In unserer, auf Perfektion und Wachstum ausgerichteten Gesellschaft, hat es sich eingeschlichen, Menschen eher von ihren Defiziten her zu sehen. Nie scheint es zu genügen, was wir tun und wie wir sind. Lebenslanges Lernen ist die Devise: Fehler ausmerzen, mehr schaffen, besser werden. Nicht nur die Wirtschaft muss wachsen, auch bei uns müssen die Zahlen immer nach oben gehen. Selbst im Glauben gibt es ein solch fatales Wachstumsdenken. Wir sollen „bessere“ Menschen werden. Das scheint geradezu ein Grundauftrag der Kirche zu sein.
Dagegen steht die Einladung des Advents, die auf diesem Hintergrund fast konspirativ ist. Es gilt nicht: Werde ein anderer, sondern: Werde du selbst, sei ganz! Wir müssen nicht neu beginnen und auch nicht besser werden. Wir sind in Gott verwurzelt. Das genügt! Wenn das kein Abenteuer ist?!