Predigt Fest der Heiligen Familie C 2024
„Fest der Heiligen Familie“ – ein um den 1. Weltkrieg herum in der katholischen Kirche eingeführtes Fest. Ich ahne, was für Gedanken Menschen unserer Zeit in den Sinn kommen, wenn sie „Heilige Familie“ hören.
Die ursprünglich gemeinte Bedeutung dieses Festes geht aus dem Tagesgebet hervor, das wir zu Beginn dieser Messe gebetet haben. Das Gebet atmet ganz den Geist des bürgerlichen Familienideals und hat einen gewissen moralischen Unterton, der eigentlich für die Gebete des Messbuches eher untypisch sind. Da hieß es: „In der Heiligen Familie hast du uns ein leuchtendes Vorbild geschenkt. Gib unseren Familien die Gnade, daß auch sie in Frömmigkeit und Eintracht leben und einander in der Liebe verbunden bleiben.“
Man kann in dem Gebet die Bedrohung, die die Schlachten des 1. Weltkriegs und die Umwälzungen der neuen Zeit für die Familien darstellten, gut spüren…
Was genau eine Familie ist, war eigentlich nie so ganz klar. In der Antike, in der altgermanischen und slawischen Tradition war es am ehesten die Zusammenfassung dessen, was Besitz eines freien Mannes war: Hof, Pferde, Frauen, Sklaven, Kinder und alles andere Vieh.
Immer und immer wieder hat die Kirche den Menschen in diesen Kulturen zu vermitteln versucht, daß jeder Mensch Kind Gottes ist und damit jeder Mensch Würde hat – aber erst im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, als alle uralten Regelungen der Gesellschaft zerfallen waren, kann das Ideal einer „Heiligen Familie“ in „Frömmigkeit und Eintracht“ zum Durchbruch kommen. Dieses Ideal hat uns bis heute nicht verlassen – im Gegenteil: es ist in Kirche, Politik und Gesellschaft ein heiß umkämpftes Feld. Und je unharmonischer der Alltag der Menschen ist, desto größer ist die Sehnsucht nach Harmonie in Partnerschaft und Familie…
Familie war im Laufe der Geschichte häufig ein Herrschaftssystem und oft genug auch ein System von Ausbeutern und Ausgebeuteten. Wo das so war und wo das so ist, da findet sich der klare Widerspruch des Evangeliums. Wenn Jesus seine Jünger beten lehrt „Vater unser, der du bist im Himmel“, und wenn er sagt „Ihr sollt niemanden auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.“, dann geht es darum, daß Jesus uns auffordert, solchen Machtansprüchen der Vaterfamilie zu widersprechen.
Da aber, wo Menschen – tastend und suchend und scheiternd und doch immer neu beginnend, versuchen eine Lebensgemeinschaft zu verwirklichen, da können sie Gott auf ihrer Seite wissen. Denn sie verwirklichen im Kleinen, sozusagen im Experiment, das, was Menschen in der Kirche, in der Gemeinschaft aller Glaubenden, leben sollen. Deswegen nennt die frühe Kirche die Familie „ecclesiola“, „Kirchlein.“ Gott ist da bei den Menschen, „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind.“ Solch ein Lebensmodell, Kirche im Kleinen, sollte eine christliche Familie in erster Linie sein.
Diese Ausrichtung der Familie auf das Evangelium soll aber nicht nur in die Familie strahlen, Familie soll nicht nur um sich kreisen, sondern Familie soll über sich hinausweisen und ausstrahlen. Deswegen in der Liturgie die Frage an die Brautleute, ob sie bereit sind, Mitverantwortung in Kirche und Welt zu übernehmen. Familie ist Gastfreundschaft, Offenheit und die Bereitschaft, die mit zu tragen, die aus dem gängigen Raster herauszufallen drohen.
Wenn wir als Kirchengemeinden vor kurzem einem Geflüchteten im Pfarrhaus Asyl gewährt haben, wenn immer wieder einmal für ein paar Tage ein Obdachloser in unserer ausgebauten Garage wohnt, dann realisiert sich hier das christliche Familienideal auf eine ganz spezielle Weise. Auch da ist sicherlich Gott mit am Werk…
Was macht nun die „Heilige Familie“ heilig?
Wenn ich auf das heutige Evangelium schaue, dann ist das Familienbild, das da vermittelt wird, nicht konservativ, nicht patriarchal – im Gegenteil! Die Weise, wie sich der Zwölfjährige von seinen Eltern und Verwandten absetzt, um im Haus seines himmlischen Vaters zu sein, widerspricht diametral jedem biedermeierlichen Familienideal von Harmonie und Gehorsam.
Ich bin mir sicher, der Evangelist Lukas hat seine Erzählung bewusst so aufgebaut, daß man Sympathie mit den Eltern Jesu hat, die mit zunehmender Panik ihr Kind suchen – und dann kein Wort der Entschuldigung von ihrem Sprössling hören, sondern nur eine etwas schroffe und altkluge Frage. „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr denn nicht, daß ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Entwicklungspsychologisch betrachtet ist unser Evangelium ein Text über das Erwachsenwerden, über die Abnabelung eines pubertären Jungen vom Elternhaus. Und es ist ein Text darüber, wie schwer es für Eltern sein kann, ein Kind langsam aber sicher loszulassen, weil es eigene Entscheidungen trifft und eigene Wege geht.
Was macht die „Heilige Familie“ heilig?
Ich würde nicht so sehr darauf achten, was die drei vorbildlich tun. Den Evangelien ist vielmehr wichtig, was ihnen exemplarisch widerfährt.
Diese Familie ist Spielball der politischen Ereignisse, Stichwort Volkszählung des Augustus;
die Geburt erfolgt ohne wirkliches Dach über dem Kopf, in einem Futtertrog;
aus dem eigenen Volk droht Verfolgung und Tod in Person des grausamen Herodes;
nur die Armen und Fremden, die auf unterster Stufe stehenden Hirten und drei weise Ausländer erkennen in dem Kind Gott;
dann die Flucht nach Ägypten, mitten in der Nacht, wie ein Abtransport durch die Geheimpolizei.
In all diesen Situationen ist die Heilige Familie Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt, Zeichen, daß sich Gott mitten unter die Menschen stellt.
Und ein weiteres macht diese Familie heilig: sie lernt! Von Maria und Josef heißt es ausdrücklich: „Sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte.“, als ihr Sohn sie darüber belehrte, daß er im Tempel seines Vaters sein müsse.
Ganz ähnlich lässt der erwachsene Jesus später seiner Mutter einmal etwas ausrichten. Sie will ihn nach Hause holen, weil ihr sein Wanderpredigertum noch immer suspekt ist, und er antwortet: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln.“
Daß auch die Mutter Jesu lernen muss, das macht diese Familie heilig, denn sie geht den Weg des Lernens ausdrücklich auch da, wo es schmerzlich ist: in der Grundhaltung des Hörens auf Gott nämlich. Auch Maria muss lernen, daß alle natürlichen Beziehungen, Vater, Mutter, Bruder, Schwester zwiespältig bleiben. Erst, wo wir uns auf Gott ausrichten, „das Wort Gottes hören und danach handeln“ – erst dort beginnt das Reich Gottes.
Und so sagt uns das Fest der „Heiligen Familie“ die Botschaft, daß auch die Familie, in der Gott Mensch werden wollte, einen Lernprozess durchmachte, um die Ebene reiner Blutsverwandtschaft zu verlassen und gemeinsam den Vater im Himmel zu entdecken.
Auf diesem Lern- Weg mit ihrem Gott ist die Kirche, sind die Gemeinden Jesu, sind auch wir, bis heute.
AMEN.