Es kann ein aufschlussreicher Rückblick auf den Tag sein, sich abends noch einmal die Stimmen in Erinnerung zu rufen, die uns im Laufe des Tages begegnet sind: Die müden bis munteren Stimmen der Familie oder der Nachbarn am Morgen; die überdrehten Stimmen im Autoradio … Die Stimmen im Betrieb oder Geschäft; die Vorgesetzten, die Kunden – angenehm oder herrisch, fordernd oder gelangweilt … Die Stimmen im Gewimmel einer Stadt: Wortfetzen, Gemurmel; Lachen oder Ankeifen; die Bemerkung an der Supermarktkasse … Das ruhige Gespräch in der Wohnung, das Telefonat am Abend; das Stimmengewirr, wenn wir uns durch Fernseh- oder Computerprogramme zappen – Sinnvolles oder Destruktives…
Welche Stimmen stachen heraus aus dem Dickicht der Laute? Und nicht zuletzt: Wie war eigentlich meine Stimme im Laufe des Tages, gelassen oder gereizt, gelangweilt oder bedacht oder schrill?
Machen Sie das mal, es zeigt sich ein ganz eigenes Bild des Tages. Stimmen und Stimmungen – das ist ja nicht nur vom Wort her verwandt. Wir machen Stimmung: Wie wir mit- und übereinander kommunizieren – ist ein Spiegel der Gesellschaft, genauso wie ein Spiegel der Seele. Wie ich spreche und angesprochen werde, das kann gewinnend oder abstoßend sein, aufbauend oder zerstörerisch.
Ein wichtiges Stück Johannesevangelium ist die Rede, in der Jesus sich mit einem „Guten Hirten“ vergleicht, und ein zentrales Motiv darin sind die Stimmen. Ein kleines Stück daraus haben wir gerade gehört. Jesus stellt die Stimme des Hirten den Stimmen von Dieben und Räubern gegenüber. Die Schafe, so meint er, werden natürlich die Stimme des Hirten aus vielen Stimmen heraushören können, weil sie ihnen ja vertraut ist – und weil auch Er sie alle kennt und einzeln „beim Namen ruft“.
Stimmen von Menschen, die uns vertraut sind, können wir selbst im Stimmengewirr größter Massen heraushören. Das kleinste Räuspern eines geliebten Menschen kann ausreichen, ihn unter Hunderten auszumachen, weil es ein einmaliges Räuspern ist. Die Erkennbarkeit vertrauter Stimmen löst viel in uns aus. Die Sehnsucht, die sich in Worten wie „Du bist einmalig“ ausdrückt, wird sinnlich erfahrbar; die Hoffnung, nicht allein, nicht verloren zu sein.
Jesus meint: So persönlich, nah, intim ist seine, ist Gottes Beziehung zu uns. Weil Er uns „beim Namen ruft“, weil ihm mein Schicksal unter Milliarden von Menschen, in der Unendlichkeit von Raum und Zeit nicht gleichgültig ist. Und: Weil wir ja seine Stimme kennen, heraushören können, damit im uns Gewirr des Lebens nicht verlieren. Selbst in den Bedrängnissen von Krankheit und Not noch heraushören…
Kann ich das? Ist er uns – ist er mir so nah und vertraut? (Ernst gemeint, nicht rhetorisch) Wie spricht Ihre/Eure Lebenserfahrung da? Es werden vielleicht sehr unterschiedliche, gegensätzliche Stimmen in uns sprechen:
- Da gibt es die Erfahrung: Ich kann mich fallenlassen in Gottes Hände, selbst in der letzten Not. Manche Menschen können so sprechen, wenn die letzten Ängste durchlitten sind. Die Frage ist, ob wir diese Stimme hören wollen, oder ob wir sie unterbrechen/abtun, weil sie uns bedroht. Die Frage ist, ob wir sie zulassen.
- Aber es gibt eben auch die Erfahrung, wie stumm für uns Gott sein kann, fern, wie im Nebel. Vielleicht beten wir sogar, aber eigentlich sind wir sprachlos, die Wort klingen nicht. Und wie unerreichbar können Trostworte sein. Wir hören sie, aber sie erreichen uns nicht. Jeder Tag ist ein Tasten durch Nebel!
Ich höre Beides – und manchmal an einem Tag; und manchmal, zu verschiedenen Zeiten des Lebens, in ein und derselben Person!
Das ist die Erfahrung von Ostern. Alle Osterberichte in der Bibel haben diese beiden Seiten. Denken wir an Maria v. Magdala. Voll von Trauer sucht sie Jesus, den Geliebten. Er steht im Garten neben ihr, aber sie kann ihn nicht erkennen. Zwei Mal muss er sie ansprechen, zwei Mal heißt es interessanterweise, obwohl sie neben ihm steht: „Sie wandte sich um“. ER ist auferstanden, aber SIE muss sich noch herausholen lassen aus dem Tod, der sie mitten im Leben ereilt hat. Sie muss sich umwenden (oder besser: umwenden lassen) zum Leben.
UMWENDEN ZUM LEBEN haben wir die Feier der Kar- und Ostertage dieses Jahr in St. Aloysius überschrieben. Das ist österlicher Glaube, eine österliche Lebenshaltung: Dass wir erreichbar bleiben für die Lebenszuwendung Gottes! Das klingt wie eine fromme Floskel. Es steckt aber viel drin: Unsere Lebenserfahrung ist ja nicht nur Segen, sondern auch Last. Je nachdem, wie das Leben uns mitspielt, kann es dazu führen, dass wir uns zurückziehen, stumpf und hart werden, taub für jedes gute Wort, für jeden Anruf des Lebens. Im Bild: Da steht Gott neben mir, wie neben Maria am Grab. Er will mich erreichen – aber ich muss mich auch erreichen lassen – mein Ohr und mein Herz offenhalten. Glaube ist die Bereitschaft, mich immer wieder umwenden lassen zum Leben – in jeder Lebensphase neu!
An dieser Stelle kommt die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden ins Spiel, denn letztlich kann dies nur miteinander gelebt werden. Die Lebenszuwendung in das Zusammenleben und in die Gesellschaft hineinzutragen, für diese Stimme Gottes Stimmung zu machen, ist der österliche Auftrag, ja ist der Sinn der Kirche – dass die Sehnsucht und der Ruf nach Gerechtigkeit einen Resonanzraum bekommt, dass die Antwort Jesu auf diese Sehnsucht hörbar bleibt: „Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Sie werden satt werden“.
In Worten, die mich sehr bewegt haben, hat unser neuer Papst Leo in seiner ersten kurzen Ansprache den österlichen Auftrag der Kirche für unsere so friedlose Welt so formuliert. Ich denke, an diesem besonderen Sonntag ist es mehr als recht, heute die Predigt mit den Worten des neuen Papstes enden zu lassen.
Leo XIV. sagte: „‘Der Friede sei mit euch allen‘. Dies ist der erste Gruß des Auferstandenen, des guten Hirten … Auch ich wünsche mir, dass dieser Friedengruß in unsere Herzen eindringt, in eure Familien, zu allen Menschen – wo immer sie auch sind – zu allen Völkern, auf der ganzen Erde … Dies ist der Friede des Auferstandenen: ein unbewaffneter Friede, ein entwaffnender Friede, ein demütiger Friede. Er kommt von Gott, der alle bedingungslos liebt. … Wir wollen gemeinsam unterwegs sein, den Frieden und die Gerechtigkeit ohne Furcht zu suchen. Wir wollen gemeinsam als Missionare unterwegs sein … Gott liebt alle und das Böse wird nicht siegen. Wir sind alle in Gottes Hand. Daher: Ohne Angst, vereint, Hand in Hand mit Gott und miteinander, gehen wir voran. … Christus geht uns voran. Die Welt hat sein Licht nötig. Die Menschheit hat Christus nötig als Brücke zu wirklicher Menschlichkeit. Seien wir Brückenbauer – miteinander, bitte nicht gegeneinander, durch Dialog, durch Begegnung, um ein einziges Volk zu sein, immer im Frieden“.
Geben wir dem eine Stimme. Machen wir Stimmung für das Leben. Amen.