Schwestern und Brüder,
wir haben gerade eine Lesung aus dem 1. Buch Samuel gehört, die Verse 2,7,8,9, 12,13, 22 und 23 aus dem 26. Kapitel. Ich erwähne das, weil diese brutale Art mit einem biblischen Text umzugehen, es nicht einfacher macht, ihn zu verstehen. So, als hätten wir an einem Sonntagvormittag nicht die zwei Minuten mehr Zeit, den Text ganz anzuhören und auf uns wirken zu lassen.
Es fällt nämlich eh schwer, kurz und bündig zu sagen, worum es in dieser Auseinandersetzung zwischen König Saul und David geht. Da hilft der zurechtgestutzte Text der Lesung nicht unbedingt. Im Kern geht es wohl darum, dass Saul seinem jungen, charismatischen Heerführer David nicht traut. Modern würden wir vielleicht sagen, Saul ist paranoid. Er ist von Argwohn und Eifersucht besessen. Deswegen versucht Saul, David zu beseitigen. Als David deswegen mit einigen Verbündeten flieht, setzt Saul ihm mit seinen Truppen nach. Es kommt zu einer echten Verfolgungsjagd. Jetzt ist sich David sicher, dass Saul ihn ausschalten will.
Da erscheint es als ein Geschenk des Himmels, dass es David gelingt, in das Lager Sauls einzudringen. Die Versuchung für David muss groß gewesen sein, seinem Gefolgsmann Abischai zu erlauben, König Saul zu töten. Aber David widersteht. Stattdessen gelingt es David, vor allen Leuten zu beweisen, dass er Saul nicht nach dem Leben trachtet. Er nimmt Sauls Speer und seinen Wasserkrug als Beweise dafür mit, dass er Saul hätte töten können, es aber nicht getan hat. So steht Saul beschämt da. Und David nimmt nicht selbst Rache an seinem König, sondern überlässt es Gott.
***
Die Sonntagslesungen aus dem Ersten Testament korrespondieren immer mit dem Evangelium des Sonntages. Die heutige Lesung aus dem 1. Buch Samuel soll im Zusammenhang mit Jesu Rede von der Feindesliebe ein konkretes Beispiel der Feindesliebe zeigen.
In diesem Fall hat das bei David mit der Sanftmut und Feindesliebe ja auch gut geklappt. Die Bibel berichtet über diesen König David aber auch andere Dinge, die ihn nicht in einem guten Licht dastehen lassen. Nicht nur, dass er Ehebruch mit einer verheirateten Frau begeht, nein, er schickt den Ehemann in einen Krieg und um sicher zu gehen, dass der da auch wirklich umkommt, lässt er ihn in die erste Reihe stellen – Kanonenfutter sozusagen. David heiratet die Witwe und nimmt sie sich zur achten Frau.
Die Bibel malt ein psychologisch sehr differenziertes Bild von David. Neben großen Leistungen und Empathie verschweigt sie nicht Davids Neigung zum Zorn und die schwere Schuld, die er auf sich lädt.
So viel also zu den Licht- und Schattenseiten der großen Gallionsfigur des ersten Testaments, König David.
Wenn man auf christlicher Seite nach einer ähnlich hoch angesehenen Persönlichkeit sucht, wie sie David im Judentum ist, dann kommt man schnell auf den hl. Franziskus von Assisi. Viele von uns wissen um seine große Toleranz, um seine Solidarität mit den Armen, um seine Brückenbauerfunktion in den Kreuzzügen. Seine vielleicht berühmteste Schrift, der Sonnengesang, ist ein Versuch, vom Sterbebett aus Feinde miteinander zu versöhnen.
Und doch gibt es auch die andere Seite an Franziskus. Franziskus verflucht seinen Mitbruder Pietro wegen dessen Änderungen an der Ordensregel und verweigert ihm den Segen. Und auf die Bitte seiner Mitbrüder, auch Bruder Pietro wieder zu segnen, entgegnet Franziskus: „Er will mir meinen Orden zerstören. Meine Söhne, ich kann den nicht segnen, dem der Herr flucht, und so bleibt er verflucht.“ Von der von Christus geforderten Feindesliebe ist hier nichts zu spüren.
Wie ist es nun aber mit der Feindesliebe bei Christus selbst bestellt?
Ja, am Kreuz ruft er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aber ein paar Stunden vorher, da bekommt er beim Verhör einen Schlag ins Gesicht. Und da hält Jesus nicht die andere Wange auch noch hin, wie es heute im Evangelium hieß, sondern er rechtfertigt sich und klagt über ungerechte Behandlung: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“
Auf seinem Weg durch Israel schimpft Jesus über die ungläubigen Städte Galiläas: „In die Unterwelt wirst du hinabgeworfen…Am Tag des Gerichts wird es Sodom nicht schlimm ergehen wie dir.“ Mit dem „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ des heutigen Evangeliums hat das wenig zu tun…
***
David, Franziskus, und sogar Jesus, der Sohn Gottes, selbst – drei Beispiele, die zeigen, dass es nicht so einfach ist mit der Feindesliebe, dass es überall menschelt.
Als Jesus die Feindesliebe forderte, da war ihm schon klar, wie es um uns Menschen bestellt ist, dass es eine besondere Herausforderung für uns ist, einen guten Umgang zu finden mit Menschen, die uns Unrecht getan haben.
Auf Gutes mit Gutem zu reagieren, das klappt gut, aber auf bitter Erlittenes nicht Rache und Vergeltung zu setzen, das kostet Kraft.
Um hier eine Brücke zu bauen, stellt Jesus im heutigen Evangelium das Verhalten Gottes in den Mittelpunkt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Als Gottesebenbilder sollen wir Maß nehmen an Gottes Liebe zu uns. Und das wird uns um so leichter fallen, je klarer wir uns machen, dass wir alle täglich Gottes Barmherzigkeit und Verzeihen erfahren, ja, dass wir von dieser Liebe leben. Gottes Güte, sagt Jesus, sei uns Vorbild, das wird uns vor jeder Form von Rache schützen.
***
Schwestern und Brüder,
Jesus weiß, dass wir Menschen Grenzen haben. Er weiß aber auch, dass wir oft nicht bis zu unseren Grenzen vordringen. Wir legen unsere moralische Latte oft nicht hoch genug, weil wir uns einreden, sie eh sonst zu reißen. Wir wollen uns nicht überfordern. Mit seiner Rede von der Feindesliebe hat Jesus uns ein hohes Ideal mitgegeben. Die Latte des moralischen Anspruchs liegt hoch.
Mit diesem hohen Anspruch fordert Jesus uns auf:
Überprüfe dich immer wieder einmal, ob du deiner dir möglichen Liebe nicht zu schnell Grenzen setzt – besonders im Blick auf deine Gegner oder die, die dir unsympathisch sind. Könntest du in so manchem Punkt die Liebe nicht umfassender leben?