Das ist ja mal wieder typisch Kirche! – Alle Welt fordert mehr Realitätssinn und Lösungsorientierung und die Kirche feiert „Verklärung.“ Wieder einmal mehr die Flucht in die Spiritualisierung und die Mystik, wo offengelegt  und transparent gemacht werden müsste. Wieder einmal Einlullen angesichts der Wirklichkeit – so könnten Menschen sagen, wenn sie hören, dass wir „Verklärung“ feiern.

Das Fest will aber gar nichts vernebeln, will nicht weggucken angesichts der Realität, sondern das Fest will genau das Gegenteil. Das Fest der „Verklärung“  will unseren Blick und unsere Gedanken weiten. Die Wirklichkeit, sagt dieses Fest, ist mehr, ist größer, ist allumfassender als alle Statistik, alles Berechnen, alle sinnliche Wahrnehmung. So wichtig es ist, nüchtern die Realität anzusehen, sollte uns dabei immer klar sein: solche Betrachtung erfasst immer nur einen Teil der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist immer mehr und größer als alle wissenschaftliche Analyse.

Auch wenn ich weiß, wie ein viele Jahrzehnte alter Baum Wasser bis in das letzte und kleinste Blättchen pumpt,

auch, wenn ich den Zusammenhang von Sonnenlicht, Wasser und Chlorophyll in den Blättern einer wunderschön blühenden Blume kenne,

kann ich das Große und Ganze, das Geheimnis hinter all dem, nicht verstehen.

Genauso ist es mit der Liebe. Natürlich spielen da Hormone und Triebe, die wir auch im Laufe der Evolution nicht ganz ablegen konnten, eine Rolle. Und trotzdem erklärt das alles nicht das Geheimnis der Liebe.

Mit unserem Denken ist es ähnlich. Die Neurologie sagt uns viel über die Ströme und Regionen unseres Gehirns, wenn wir nachdenken oder schlafen. Aber warum ich Musik von Bach oder Romane von Thomas Mann liebe, erklärt uns niemand.

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Die Wirklichkeit ist größer und tiefer als das, was wir vordergründig feststellen. Es gibt eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit. Wenn Ikonen gemalt werden (wobei wirkliche Ikonenmaler nie sagen würden, dass sie eine Ikone malen, sondern sie beten sie) wenn also eine Ikone gebetet wird, dann grundiert der Maler den Untergrund zuerst mit einer Blattgoldschicht. Dieses Gold schimmert dann durch alle anderen Schichten hindurch.

Wenn wir ein gutes Gespräch mit jemandem geführt haben, wenn Begegnungen gelingen, dann strahlen wir – andere können das sehen, wir strahlen das dann aus.

Das heutige Evangelium von der Verklärung erzählt, dass Jesu Gesicht und sogar seine Kleider geleuchtet haben, als er oben auf dem Berg Tabor war.

Nur zwei Menschen in der Bibel schenkt Gott ein Leuchten: Moses und Jesus.

Auch Mose kommt von einem Berg, vom Berg Sinai. Er hatte dort eine Gottesbegegnung und empfing die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten. Und dann wird berichtet, dass von seinem Gesicht ein Leuchten ausging. Die Menschen fürchteten sich zunächst davor, doch Mose geht auf sie zu. Moses – ein Mensch von Gott entflammt, ein Mensch mit Ausstrahlung. Er strahlt dem Volk Israel göttliches Licht und damit Hoffnung entgegen.

Ähnliches geschieht auch bei Verklärung Jesu. Die unmittelbare Begegnung mit Gott lässt Jesus in einem anderen Licht erscheinen. Hinter Jesus wird eine andere Realität, etwas, mit dem man nicht rechnen konnte, sein Geheimnis, deutlich: „Dieser ist mein geliebter Sohn…auf ihn sollt ihr hören.“

So, wie die Israeliten bei Mose, fürchten sich auch die drei Jünger, die mit Jesus auf den Berg gegangen sind. „Steht auf und fürchtet euch nicht!“, bekommen sie von Jesus gesagt.

Dann steigen sie runter vom Berg der Verklärung. Die drei Jünger hatten sicherlich eine Ahnung davon, daß sie das Wesentliche von Jesus bis jetzt noch nicht erfasst hatten. Erst mit Ostern, mit der Auferstehung Jesu, werden sie das Erlebnis der Verklärung und das Geheimnis Jesu ganz erfassen.

„Fürchtet euch nicht!“, sagt Jesus.

Vor Gott brauche ich keine Furcht zu haben! Ich muss vor ihm nicht unterwürfig buckeln. Furcht hilft nicht dabei, die Niederungen des Alltags zu meistern, wenn man vom Berg der Verklärung runtergestiegen ist. Im Alltag braucht es den aufrechten Gang und die Kraft, die ich bekomme in der Begegnung mit Gott.

Und da hat jeder seinen eigenen Ort: die stille halbe Stunde, in der ich einen Bibeltext meditiere oder den Rosenkranz bete, der Spaziergang vorbei an einem abgeernteten Kornfeld oder durch Weinberge im Urlaub, die Radtour an einem Fluss entlang, die sonntägliche Messfeier…

Orte, an denen ich Durchblick bekomme und Weitblick gewinne, sind für mich Orte der Verklärung. Auf einmal scheint etwas Goldenes aus der Tiefe durch. Ich erkenne die Tiefendimension des Lebens, die eben mehr ist, als alles rational Erklärliche.

Für uns Christinnen und Christen ist diese Tiefendimension des Lebens das Licht des auferstandenen Christus, des Sohnes Gottes. Alles Böse, Dunkle, Geheime und Todbringende, so sehr es unsere Welt im Griff zu haben scheint, es ist bereits überwunden. Wir glauben daran, daß unser Gott, der Gott der Barmherzigkeit und des Lebens, das letzte Wort behält.

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Schwestern und Brüder,

ich wünsche uns für die Zeit nach den Ferien, wenn vieles wieder losgeht, was in der Sommerpause war, wenn es wieder stressiger wird, wenn die Straßen wieder voller werden, wenn die Schule wieder losgeht, Orte und Zeiten der Verklärung, in denen wir etwas von der tiefen Strahlkraft Gottes erkennen und ausstrahlen können, so wie Moses und Jesus.

Amen.