Predigt 18. Sonntag im Jahreskreis C 2022

Vor einiger Zeit unterhielt man sich in einer Talkshow im Fernsehen über Falten-weg-Cremes, Collagenbehandlungen und allerlei Anti-Aging-Kosmetik. Die Schauspielerin Jutta Speidel, eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation, die nichts an sich hat aufspritzen oder straffen lassen, sagt in dieser Diskussion sinngemäß: Es ist für mich ein Geschenk, daß ich altern darf. Ich gewinne meiner Vergänglichkeit ganz viel Positives ab. Ich freue mich über so viele Dinge, die ich, als ich jung war, tun mußte und jetzt nicht mehr. Ich kann wunderbar loslassen und merke, wie die Sicht auf die Dinge sich dadurch verändert.

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Diese Diskussion, liebe Schwestern und Brüder, fiel mir als Kontrast ein, als ich sah, daß am heutigen Sonntag die Windhauch-Lesung aus dem Buch Kohelet an der Reihe sein würde. „Windhauch…das alles ist Windhauch.“, sagt Kohelet und greift damit die uralte Erfahrung der Vergänglichkeit auf. Den Wunsch, das Leben möge keine Spuren hinterlassen, auch nicht in Form von Falten, Krähenfüßen und Krampfadern, bedient die Kosmetikindustrie, preist den ewigen Jungbrunnen an und macht damit Milliarden. Aber spurlos geht das Leben an niemandem vorbei, auch nicht an den Engecremten, Gespritzten und Operierten – im Gegenteil: anstatt des in Würde gealterten Gesichts zeigt man uns erstarrte Masken…

Das Buch Kohelet stellt Zeiterscheinungen wie unserer Schönheitsindustrie in Frage. Nicht die ewige Jugend sollen wir konservieren, sondern Wachsen und Reifen ist gefragt. Den wichtigen Fragen unseres Lebens nach dem Woher und Wohin und dem Sinn von Krisen und Hoch-Zeiten sollen wir uns stellen und uns nicht krampfhaft der Vergänglichkeit zu entziehen versuchen.

Über Jahrhunderte hat die Kunst die Vergänglichkeit des Lebens versucht darzustellen. In allen großen Museen können wir diese Werke bewundern. Am bekanntesten sind dabei vielleicht die Stilleben: Gemälde, auf der keine Menschen dargestellt sind, sondern üppige Blumenarrangements oder mit Speisen überladene Tische. Diese Kunstwerke geben Einblick in eine großartige Symbolsprache. Das Schöne und die Lebensfreude werden zugleich mit ihrer Vergänglichkeit auf einem Bild vereint. Da ist an einem makellos erscheinenden Blumenzweig doch eine Blüte welk, am Rand des wertvollen Glases ist eine winzige Ecke ausgebrochen oder an einem der verlockenden Äpfel im Obstkorb nagt dann doch schon die Fäulnis und die erste Fliege sitzt schon darauf…. Jugend, Schönheit, prächtiger Besitz einerseits und die Vergänglichkeit andererseits greifen in diesen Bildern ineinander. Jedes dieser prächtigen Werke könnte man mit „Windhauch“ überschreiben.

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Was es mit all den schönen Dingen auf diesen Bildern auf sich hat, mit den Bergen von Essen, mit der Anhäufung wertvoller goldener und gläserner Gefäße, mit all der Blumenpracht, das findet man auch im Buch Kohelet. Im 8. und im 9. Kapitel des Buches heißt es:

„Da pries ich die Freude; denn es gibt für den Menschen kein Glück unter der Sonne, es sei denn, er isst und trinkt und freut sich. Das soll ihn begleiten bei seiner Arbeit, während der Lebenstage, die Gott ihm unter Sonne geschenkt hat…Also: Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt! Mit einer Frau, die du liebst, genieße das Leben alle Tage deines voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat, alle deine Tage voller Windhauch! Denn das ist dein Anteil am Leben und an deinem Besitz, für den du dich unter der Sonne anstrengst. Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfindet, das tu! Denn es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist.“ (Koh 8,15; 9,7-10)

Pure Lebensfreude bringt Kohelet hier zum Ausdruck!

Auch in modernen geistlichen Texten ist diese Lebensfreude zu finden. So zum Beispiel im „Sommerpsalm“ der Theologin und Autorin Jaqueline Keune aus Luzern. Dieser „Sommerpsalm lautet so:

Geht und

lobt ihn mit aufgeräumten Seelen

lobt ihn mit entspannten Körpern

lobt ihn mit lachenden Mündern

mit träumendem Herz und fliegendem Haar –

noch und  noch!

Geht und

lobt ihn mit gegrilltem Fisch

lobt ihn mit gefüllten Gläsern

lobt ihn mit geteilten Tischen

mit verschlungenen Büchern und gestauten Bächen –

noch und noch!

Geht und

lobt ihn mit verregneten Tagen

lobt ihn mit einladenden Briefen

lobt ihn mit beschwingten Wegen

mit Liebesnächten und Lagerfeuern –

noch und noch!

Kohelet wußte das Leben zu genießen. Man nimmt an, daß der Verfasser des Buches Kohelet am Königshof gelebt hat, evtl. sogar selbst der König war. Er gibt weiter, was er als seine Lebensweisheit begriffen hat: genieße das Leben und all die dir geschenkten Möglichkeiten, aber vergiß nicht: das alles ist Windhauch, es ist vergänglich und somit nicht haltbar. Besitz und Reichtum sättigt unsere Seele nicht auf immer. „Haben“ macht nicht glücklich. Was uns aber satt und zufrieden macht, ist das Erspüren und das Genießen der Dinge von Innen her. Wem das gelingt, den macht das gelassener gegenüber dem Leben mit seinen kleinen und größeren Zeichen der Vergänglichkeit und der Realität des Todes. Verachte das Schöne und den Reichtum nicht, sagt Kohelet, aber denke immer daran: das alles ist nicht das Letzte, sondern das Vor-letzte!

Denn was bleibt, so Kohelet, ist der Glaube an Gott, der einst dich und dein Tun, ob gut oder böse, mit und ohne Falten, „erwartet.“

AMEN.

Stefan Wallek