26. Sonntag im Jahreskreis (A) 2020 –

Zur Zeit erheitern uns – oder bedrücken uns mehrere Wahlkämpfe: in den USA wird im November der Präsident gewählt, und auch in Dortmund erreicht der Kommunalwahlkampf mit der Stichwahl zum Oberbürgermeister heute seinen Höhepunkt Das Wesen des Wahlkampfes ist natürlich, seine eigenen Qualitäten herauszustellen und öffentlich zu machen, aber auch die Schwächen des Gegners offen zu decken und ihn oft auch sehr verletzend zu beleidigen und zu verunglimpfen. Diese Auswüchse von Wahlkampf sind für viele abstoßend geworden, weil es ihren eigenen Wertvorstellungen vom Umgang miteinander widerspricht. Der politische Mitbewerber oder Gegner wird zum persönlichen Feind. das ist auch nichts Neues, auch solche Politiker aus der Steinzeit wie Strauß, Adenauer, Wehner oder Schmidt-Schnauze in jungen Jahren haben ordentlich draufgehauen – und die Massen haben gejubelt, weil es so schön unterhaltsam war.

Da klingt die Mahnung des Paulus in seinen Brief an die Gemeinde in Philippi schon ziemlich weltfremd: einer schätze den anderen höher ein als sich selbst – in Demut. Kann ich mit einer solchen Einstellung im heutigen Wirtschaftsleben überhaupt noch bestehen? Muss ich nicht im Gegenteil ständig beweisen, dass ich der Beste bin, der genau für diesen Arbeitsplatz in Frage kommt? Dass der Firma gar nichts Besseres passieren kann, als dass sie mich anstellt. Und wo Kirche Arbeitgeber ist, handelt sie genauso. Auch hier sind Bewerber um Arbeitsplätze Konkurrenten, die sich selbst für die Geeignetesten halten müssen.

Für das Verhalten, das Paulus anmahnt, gibt es ein modernes Wort, das diesen Sachverhalt gut beschreibt: wert-schätzen! Es ist das Gegenteil von gering-schätzen. Der Umgang innerhalb der christlichen Gemeinde soll nicht einem Wahlkampf gleichen, sondern soll von gegenseitiger Wertschätzung getragen sein. Und diese Wertschätzung ist nicht etwas, was beliebig wäre, sondern gehört wesentlich zu einer Gemeinde dazu, weil es dem Leben in Christus Jesus entspricht, wie Paulus sagt.

Zur Wertschätzung gehört es, einander wahrzunehmen. Der andere ist für mich nicht Luft. Er ist mir nicht egal. Ich nehme wahr, dass es neben mir noch andere gibt, die auch etwas zu sagen haben, die ihre eigene Lebensgeschichte haben, die ihren eigenen Glaubensweg haben und die besondere Fähigkeiten und Energien haben. Zum gegenseitigen Wahrnehmen gehört, dass ich meinen eigenen Vogel nicht für den Heiligen Geist halte. Wahrnehmen kann in einer christlichen Gemeinde auch heißen, dass ich überhaupt die Gegenwart des anderen erspüre. Wie oft passiert es auch in unseren Kirchen, dass Menschen dort eintreten und dem Sitznachbarn nicht einmal einen freundlichen Blick oder ein Wort der Begrüßung gönnen. Sie tun so, als wäre der andere nicht da.

Auch in der Kirche in Deutschland rumort es zur Zeit wieder gewaltig. Der sogenannte synodale Weg wird nicht von allen mitgetragen, obwohl eine Erneuerung der Kirche dringend angesagt ist. Da ist auch bei der Bischofskonferenz letzte Woche wieder deutlich geworden. Und auch die römischen Behörden sperren sich den Erneuerungsversuchen, die aus Deutschland kommen, etwa im Hinblick auf den Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt. Die Bemühungen um gegenseitige Gastfreundschaft werden von römischer Seite aus blockiert. Dem Bistum Trier wird an notwendigen Schritten zur Neustrukturierung seiner vielen kleinen Pfarreien Knüppel zwischen die Beine geworfen. Und der synodale Weg wird nicht von allen mitgetragen.

Die Wertschätzung innerhalb der christlichen Gemeinde ist nicht einfach eine billige Mahnung in dem Sinne: „seid nett zueinander“. Wertschätzung hat vielmehr zu tun mit der Verbindung untereinander, die durch Jesus Christus entsteht. Weil alle den Bezug haben ihm, deshalb entsteht Beziehung untereinander. Ohne Beziehung ist Gemeinde tot. Und die Hochachtung voreinander ist begründet in der Hochachtung Jesu vor dem Menschen, der nicht auf einem hohen Ross geritten ist, sondern wie ein Sklave den Menschen gleich war. Wertschätzung gegenüber den Menschen ist deshalb ein Handeln aus Glauben, weil wir darin Jesus Christus ähnlich werden.