28. Sonntag im Jahreskreis (A) 2020 –

Mit dem heutigen Evangelium tun wir einen Blick in die Schreibstube des Evangelisten Matthäus. Wir können beobachten, dass die Evangelien nichts vom Himmel Gefallenes sind, sondern eine menschliche Redaktion durchlaufen haben. Kunstvolle Kompositionen mit einer ganz bestimmten Verkündigungsabsicht. Am heutigen Evangelium können wir die „Geschichte einer Geschichte“ in vier Szenen nachvollziehen.

Eine erste Szene: Wir schreiben das Jahr 30 nach Christi Geburt. Jesus zieht durch das Land und predigt von der Liebe Gottes und seiner Einladung an alle Menschen.

Manche verstehen Jesus, nehmen die Einladung an, geben alles auf und folgen Jesus. Andere sind irritiert von dem, was Jesus sagt. So hatten sie sich Gott nicht vorgestellt. Und sie verstehen nicht, dass in diesem Jesus Gott selbst zu uns  Menschen gekommen  ist – Gottes lebendige Einladung an uns Menschen. Andere hören Jesus gar nicht zu, weil anderes ihnen wichtiger ist, oder weil sie keine Zeit haben, ihm genauer zuzuhören – so, wie wir Menschen oft denken: Vielleicht später mal, auf den Tag oder die Woche wirds nicht ankommen…

Aber Jesus kommt es darauf an. Und eines Tages erzählt er folgendes Gleichnis vom Himmelreich:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der ein großes Fest feiern will. Er bereitet alles vor und dann schickt er seine Bote los und lädt ein. Aber das Unglaubliche passiert: Einer nach dem anderen sagt die Einladung ab. Sie haben Wichtigeres zu tun, so glauben sie. Sie schlagen die Einladung in den Wind. Da befiehlt der König, die ersten Besten von der Straße zu holen. Und die kommen auch. Und mit ihnen feiert der König dann ein rauschendes Fest.

Eine zweite Szene: Es ist das Jahr 33 nach Christi Geburt. Jesus predigt nicht mehr. Er ist gekreuzigt worden, gestorben und auferstanden. Jetzt reisen seine Jünger, seine Apostel und die erste Generation von Christen durchs Land und predigen. Und sie machen dieselben Erfahrungen wie ihr Herr: Manche kommen zum Glauben, andere aus unterschiedlichsten Gründen nicht. Aber sie haben auch ein neues Problem: Jesus war Jude und wollte keine neue Religion gründen. Er wollte dem Volk Israel von seinem Gott erzählen, deswegen hat er nur zu den Juden gesprochen. Was ist nun mit den Heiden, den Nichtjuden, die gläubig werden? Sind auch sie eingeladen?

Diese Fragen waren Grund zu großem Streit in den jungen Gemeinden. Und diese Gemeinden erinnerten sich an das Gleichnis vom Himmelreich, das Jesus erzählt hatte. Und sie erzählen es wieder…nur ein klein wenig anders:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der ein großes Fest feiern will. Er bereitet alles vor und dann schickt er Boten aus und lädt ein. Aber das Unglaubliche passiert: Die Geladene sagen ab. Da schickt er die Boten wieder aus: „Sagt den Geladenen: Das Essen ist zubereitet, die Ochsen geschlachtet, alles ist bereit, kommt doch!“ Aber die Gäste missachten die Einladung. Der eine geht auf seinen Acker, andere zu ihren Geschäften. Keiner kommt. Da sagt der König zu seinen Boten: „Geht auf die Straße, an die Hecken und Zäune und ladet zu meinem Fest, wen ihr findet.“ Viele kommen und der König feiert mit ihnen ein rauschendes Fest.

Sie merken: Dieses Mal lädt der König die, die auf der Gästeliste standen, zweimal ein. Und die sagen nicht nur einfach ab, sondern sind unhöflich und verstecken sich hinter faulen Ausreden. Daran sieht man, wie sehr sich die frühe Kirche dafür rechtfertigen musste, dass sie unter den Juden so wenig Missionserfolg hatten, wenn sie sich auch noch so abmühten. Dafür aber hatten sie umso mehr Missionserfolg unter den Nichtjuden.

Eine dritte Szene: Es ist in den Jahren zwischen 80 und 100 nach Christus. Etwas Entscheidendes ist passiert: Im Jahr 70 haben die Römer unter Kaiser Titus Jerusalem angezündet und den Tempel der Juden zerstört. Und plötzlich taucht in unserem Gleichnis eine seltsame kleine Zwischenepisode auf, die gar nicht richtig passen will. Der König lädt zweimal ein, die Geladenen sagen ab. Und dann wird es brutal:

„Einige fielen über die Diener des Königs her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen.“

Während das Essen auf dem Tisch steht, führt der König noch eben einen kleinen Krieg. Das passt natürlich alles nicht zusammen, es passt aber zu dem, was die frühen Christengemeinden damals erleben mussten: Dass sie, die sie die Einladung Gottes aussprechen, von den Menschen verhöhnt, verfolgt und sogar getötet werden. Die ersten Christenverfolgungen hatten begonnen und man sah auf die Juden, die nicht Christen geworden waren und denen es jetzt auch an den Kragen ging. Man sah in der Zerstörung der Stadt und des Tempels eine Art Gottesurteil über den Unglauben der Juden. Da haben wir mit dem heutigen Evangelium eine Stelle gefunden, die man über Jahrhunderte für christlichen Antisemitismus missbraucht hat. Aus einer freundlichen Einladung war Drohung geworden…

Noch eine weitere, vierte Szene: Es ist die gleiche Zeit, aber ein anderer Ort. Der Evangelist Matthäus sitzt an seinem Schreibtisch. Er sammelt alle Geschichten, die man von Jesus weiß, denn die Zeitzeugen sterben und man will die Erinnerung bewahren. Auch das Gleichnis vom Himmelreich soll bewahrt werden. Und so schreibt Matthäus, was er gehört hat…fügt aber noch etwas hinzu:

„Als sie sich gesetzt hatten und der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Mann, der kein Hochzeitsgewand anhatte. Er sagte zu ihm: Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen? Darauf blieb der Mann stumm. Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Da wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.“

Leute von den Hecken und Zäunen haben keine Gelegenheit, sich schick zu machen. Und doch geht hier mit Matthäus nicht die Fantasie durch. Er hatte einen Grund, diese Episode an das Evangelium anzufügen. Denn seine Gemeinden haben ein neues Problem. Es geht nicht mehr um Juden und Nichtjuden, sondern es geht um lau und lethargisch gewordene Christinnen und Christen. Anfangs waren die Gemeinden überzeugte, leidenschaftliche Anhänger Jesu. Viele haben Nachteile in Kauf genommen, Bindungen aufgegeben, sich taufen lassen…aber jetzt…  Ein bunt gemischter, teilweise zerstrittener Haufen, der eine etwas näher dran an Jesus als andere, ein paar Übereifrige und viele Distanzierte. Die ersten „Karteileichen“, „Mitläufer“ entstehen, könnte man sagen…

Matthäus will mit seinem Zusatz vom Festgewand sagen: Nur weil ihr zu den Eingeladenen gehört, nur weil ihr die Einladung irgendwann einmal angenommen habt, seid ihr noch lange nicht fertig, nicht angekommen. Ob ihr wirklich mit Gott feiern könnt, das hängt davon ab, wie ihr da seid. Und die Äußerlichkeit des Festgewandes steht für eure innere Einstellung, steht für eure Herzen.

Das, liebe Schwestern und Brüder, ist die „Geschichte der Geschichte“ des heutigen Evangeliums, eine Entwicklung über vier Szenen.

Es fehlt uns jetzt eigentlich eine fünfte Szene: die Geschichte vom Himmelreich in unserer Zeit. Ich will sie hier nicht erzählen. Das können sie in einer stillen

Stunde einmal selbst tun. Ich möchte sie dazu auf etwas hinweisen und dann eine Frage stellen:

Der König im heutigen Evangelium fragt den Gast: „Mein Freund, wie konntest du ohne Hochzeitsgewand hier erscheinen?“ Und der Evangelist sagt von diesem Gast: „Darauf blieb der Mann stumm.“

Wenn wir das gefragt würden – ginge es uns anders, als diesem Mann?

Oder hätten sie eine Antwort darauf, warum so manches nur oberflächlich ist in unserem Christenleben?