16. Sonntag im Jahreskreis A, 23. Juli 2023, St. Liborius
Am Freitag wurde bekannt, dass in Berlin ein sogenannter ‚Bürgerrat‘ ausgelost worden ist, in dem interessierte Bürgerinnen und Bürger zu verschiedenen Themen beraten können und damit dem gewählten Parlament Empfehlungen aussprechen können. Ein solches fördert sicherlich die Beteiligung des Wahlvolkes an der Gestaltung der Demokratie, aber es stellt natürlich auch die Kompetenz des Parlamentes in Frage. Das wird in den Parteien noch heftig diskutiert. Es zeigt aber auch, wie sehr die Frage uns begleitet: Wer hat die Macht? Wo werden die Entscheidungen getroffen? Innerkirchlich gibt es Parallelen dazu. Der Synodale Weg in Deutschland und die Weltsynode, die Papst Franziskus angestoßen hat, scheinen nicht zueinander zu finden. Es gibt gegenseitige Verdächtigungen und Unterstellungen und man hat den Eindruck, dass die Bemühungen der Kirche in Deutschland um eine Erneuerung der Kirche in Rom nicht ankommen und verstanden werde. Dazu kommen ungeklärte Fälle wie die Situation im Erzbistum Köln, wo schon lange unklar ist, wie es dort weitergeht und wie die Frage der Macht auf Dauer dort geregelt wird.
Die Frage nach der Macht bewegt auch die Jünger Jesu, und zwar noch während des letzten Abendmahles. Auch unter den Zwölfen knistert es: Wer ist der Wichtigste von uns? Wer hat das Sagen? Das zeigt mir, dass auch in den kleinsten Gemeinschaften diese Frage immer akut ist, nicht nur in den großen staatlichen und kirchlichen Zusammenhängen. Auch unter Geschwistern etwa wird darüber gestritten, wer sich durchsetzen kann und das ist nicht immer der oder die Älteste. Und da unterscheiden sich die Apostel Jesu in ihrem Zwölferteam nicht von anderen Gemeinschaften. An dieser Stelle greift Jesus in die Diskussion ein und bringt noch eine andere Wertung ins Spiel. Er respektiert, dass es Macht gibt und geben muss, damit das menschliche Zusammenleben gestaltet werden kann. Aber er legt andere Kriterien an. Macht dient nicht der Selbstdarstellung und der eigenen Bereicherung, Macht hat nichts mit Macho-Gehabe zu tun und der Darstellung es eigene Ego’s. Macht im Sinne Jesu heißt: seine Kraft und Fähigkeiten einsetzen für andere; andere unterstützen, wo sie selbst nicht weiterkönnen; Gemeinschaften aufbauen, in denen die Fähigkeiten und Charismen der einzelnen sich entfalten können.
Ich habe die Bemühungen des Synodalen Weges in Deutschland bisher auch so verstanden, dass es darum ging, Macht in der Kirche so zu regeln, dass keine Gelegenheit mehr zum Missbrauch besteht, dass auch Laien Verantwortung übernehmen können und nicht nur beraten können. Es sollte auch darum gehen, dass die Krise der Kirche auch als Chance gesehen wird, wieder mehr Kirche im Sinne Jesu zu werden – so wie es das heutige Evangelium beschreibt.
Wir erleben den Missbrauch menschlicher Macht zur Zeit überdeutlich bei einem Putin und anderen Potentaten dieser Welt und wir sehen das Unheil, das sie anrichten. Da trifft Jesus voll ins Schwarze, wenn er sagt: „Die Könige herrschen über ihre Völker und die Vollmacht über sie haben, lassen sich Wohltäter nennen.“ Es ist, als wäre dieser Satz heute gesprochen. Gesetze werden so umgedreht, dass diese Macht auch lebenslang erhalten bleibt. Hauptsache, ich habe den ersten Platz.
Und es gibt immer wieder Lebensentwürfe, die solche Konzepte überdeutlich in Frage stellen. Der französische Adlige Charles de Foucauld – vor 2 Jahren heiliggesprochen – hat das sehr konsequent gelebt. Er hat bewusst den ‚letzten Platz‘ gesucht: obwohl von vornehmer Herkunft und Offizier in der französischen Armee hat er bei den Klarissen in Nazareth als Hausdiener gelebt und später in der Sahara unter den Tuareg als ‚Bruder aller‘, wie er sich selbst definiert hat.
Oder die Französin Madeleine Delbrel, die vor über 60 Jahren ganz bewusst in einem armen Pariser Vorort unter den benachteiligten Menschen gelebt hat, obwohl sie aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Fähigkeiten eine gute zivile Karriere hätte machen können.
Diese Lebensentwürfe ziehen auch heute noch viele Menschen an, sie sind wie Leuchttürme, an denen man sich orientieren kann. Mich ermutigen solche Lebensbeispiele, wenn mir manchmal das ganze Machtgerangel auf die Nerven geht. Es ist aber notwendig, damit alle Beteiligten zu ihrem Recht kommen, egal ob in Staat oder Kirche