7. Sonntag der Osterzeit B, 16. 5. 2021

Schwestern und Brüder,

sieben Wochen feiern wir Ostern. Die 7 ist eine Symbolzahl, die Zahl der Vollendung. Sieben Tage, eine Woche, brauchte Gott nach Auskunft der Bibel, um den Kosmos zu schaffen. 7 x 7 Tage, sieben Wochen dauert das Osterfest. Sicherlich wollte man eine Parallele ziehen zwischen den sieben Tagen der Schöpfung und dem Entstehen der Kirche in den sieben Wochen zwischen Ostern und Pfingsten. – Eine Neuschöpfung sozusagen…

Die sieben Wochen der Osterzeit sind dem jüdischen Festkalender entnommen. Aus dem jüdischen Passah, der Erinnerung an den Durchzug Israels durch das Rote Meer und der Rettung aus Sklaverei Ägyptens wird das christliche Ostern. Sieben Wochen später feiern die Juden Schawuot, Erntedank. Daraus wird das christliche Pfingstfest. Eine jüdische Auslegung deutet die sieben Wochen so: Nach dem Zug durch das Rote Meer war Israel frei geworden. Aber jetzt braucht es Zeit, die Freiheit zu begreifen und die Ketten der Unfreiheit fallen zu lassen.

Vielleicht kann man Ähnliches auch von den Christinnen und Christen nach Ostern sagen: nachdem sie die Osterbotschaft gehört hatten, nachdem Jesus ihnen erschienen war, brauchten sie die symbolischen sieben Wochen, um selbst Osterboten zu werden.

Und es legt sich ein Gedanken, eine Frage, nahe: Ist das nicht ein andauernder Prozess, in dem die Christinnen und Christen aller Zeiten, bis heute, stehen? Müssen wir nicht immer neu die Ketten fallen lassen, mit denen wir an viele Dingen gefesselt sind und die uns abhalten von einem echten Zeugnis für unseren Herren…?

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Die Schriftlesungen dieses letzten Sonntags vor Pfingsten zeigen, was die Lebensform der Kirche ist, oder sein müßte: wir alle sind Erbittende und Empfangende! Wir haben in der Lesung davon gehört, wie man einen Nachfolger für den Apostel Judas gesucht hat: indem man ihn erbittet. Am nächsten Sonntag hören, wie die Apostel, in ihrer Mitte Maria, um den Heiligen Geist beten. Maria, das ist ein Bild für die Kirche aller Zeiten, nicht nur für die Frauen. Alle in der Kirche sollen, wie Maria, Betende, Empfangende und Weitergebende sein. Die Kirche selbst ist von den Jüngern und Maria erbeten und an Pfingsten empfangen worden! Die Kirche ist Frucht einer einmütigen Versammlung von Christinnen und Christen.

Kirche, das Wort kommt vom griechischen „ecclesia“ und war im alten Griechenland ein Ausdruck für „Versammlung.“ An vielen Stellen der Apostelgeschichte wird erzählt, wie sich die erste Gemeinde in Jerusalem und ihre Ablegergemeinden versammeln. Der Begriff „Versammlung“ bezieht sich aber nicht nur auf den Gottesdienst. „Versammlung“, das ist auch der Ort, an dem erzählt wird, was Gott durch die Apostel und die Gemeinde getan hat, wo an die Freuden und Leiden einzelner Gemeindemitglieder erinnert wird, wo erzählt wird, wie sich das Wort Gottes ausbreitet. Kirche entsteht also aus dem Stoff des Lebens derer, die ganz auf Gott vertrauen. Aus diesem Stoff macht Gott seine Geschichte und baut seine Kirche auf!

Aber auch in einer solchen Kirche müssen Entscheidungen getroffen werden. Wir hören heute in der Lesung von einer solchen Entscheidung, von der Wahl des Apostels Matthias. Diese Wahl sei „einmütig“ erfolgt, sagt die Lesung. „Einmütig“, das Wort steht ganz oft in der Apostelgeschichte. Und die Apostelgeschichte will mit diesem „einmütig“ nicht sagen, da sei ein guter Kompromiss gefunden worden, so wie heutzutage im Bundestag. Wenn die Apostelgeschichte von „Einmütigkeit“ redet, dann ist das für sie ein großes Wunder, das Gott tun konnte durch den Heiligen Geist und durch den miteinander geteilten Glauben.

Die Lesung erläutert ganz genau, wie der Nachfolger des Apostels Judas gefunden wird: Petrus erläutert der Versammlung die Voraussetzungen, die für den Zwölferkreis gelten. Dann einigt man sich auf zwei Männer, zwischen denen das Los geworfen werden soll.

Daß zwei Kandidaten zur Verfügung stehen, soll zeigen: die Kirche wird immer dann genügend Menschen für ihre Aufgaben finden, wenn sie nach dem Evangelium lebt und es in ihr ein vorbildliches „apostolisches Leben“ gibt, also ein gemeinsam geteiltes Glaubensleben.

120 Personen sollen anwesend gewesen sein, sagt die Lesung. Das ist zunächst einmal die Summe aus 10 x 12 und verweist auf die zwölf Stämme Israels. Jesus hat sich auf sie berufen und wollte Israel wieder herstellen. Jetzt berufen sich auch die jungen christlichen Gemeinden auf sie und vervollständigen das Zwölferkollegium der ersten Apostel wieder.

Die 120 will aber noch etwas anders sagen. Die 120 ist eine relativ kleine Zahl und ein Erfahrungswert der frühen Kirche: eine Gemeinde schöpft ihre Lebendigkeit auch aus dem Beim-Namen-Gerufensein jedes Einzelnen. Nur, wo sich die Leute kennen, übernehmen sie Verantwortung füreinander und arbeiten am selben Ziel. Unsere alten, riesigen Pfarrgemeinden sind also sicherlich nicht im biblischen Sinne gewesen…und unsere kleiner werdenden Gemeinden vielleicht sogar eine große Chance.

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Sehen wir unter diesem Aspekt noch auf unser gerade gehörtes Evangelium – schwere Kost ist das…

Jesus sagt, die Apostel, heute wir alle, seien „nicht von der Welt“ – d.h. Christinnen und Christen gehorchen nicht, wie die übrige Gesellschaft, jedem aktuellen Trend. Jesus sagt aber auch, wir seien „in der Welt“ –  d.h. Christinnen und Christen leben auch nicht zurückgezogen in der Wüste. Ganz in der Gesellschaft aufgehen oder sich ganz aus der Gesellschaft zurückziehen – beides wäre nicht jesuanisch! Ohne Berührungsängste sollen die christlichen Gemeinden da sein, wo das Leben pulsiert und seine Fülle sucht. Christus ist gekommen, um die Welt zu erlösen und dazu hat er sich Jüngerinnen und Jünger gesucht – bis heute!

Schwestern und Brüder,

es braucht heute mehr denn je wirklich glaubende Jüngerinnen und Jünger, Menschen, die wirklich ihr ganzes Vertrauen auf Gott setzen. Und diese Jüngerinnen und Jünger werden die Welt dann verändern können, wenn sie bereit sind, sich immer wieder selbst zu ändern. Die Welt beginnt nicht da, wo alle Kameras sensationsgierig hinsehen, die Welt beginnt in jedem einzelnen von uns. Wo wir uns ändern, ändern wir die Welt!

„Lass sie eins sein Vater, wie wir eins sind.“, bittet Jesus. Und wie sollte sich da, wo alle eins werden in Jesu Dienst, die Welt nicht ändern? AMEN.

Stefan Wallek