2. Weihnachtstag 26. 12. 2021 (F)
Der Stall von Betlehem ist ein Ort mit höchst reduzierter Einrichtung. Ein Dach, eine Futterkrippe, die Tiere, dann die jungen Eltern und das Kind, und auf Besuch – einige Hirten und die Sterndeuter aus dem Osten. Man kann aber auch davon ausgehen, dass die Krippe mit Stroh für das Vieh gefüllt war. Insgesamt eine sehr bescheidene Einrichtung, IKEA könnte sich hier nach Herzenslust einbringen. Aber jedes dieser wenigen Elemente hat eine Botschaft, Maria genauso wie ein Hirte oder wie das Stroh, auf dem das Kind liegt; ach ja: über all dem soll ein besonderer Stern gestanden haben.
Aber erst mal zum Stroh: es ist ein Abfallprodukt in der Landwirtschaft. Es dient oft als Viehfutter oder als Unterlage oder als Füllung für Matratzen. Mein erstes Lager als kleiner Pfadfinder habe ich in einer Scheune auf einem Strohlager zugebracht. Stroh ist wenig wert, bis dahin, dass wir im Deutschen sagen: der hat ja nur Stroh im Kopf, der ist strohdoof! Stroh ist ein Produkt, das wir mit der Erde verbinden, es ist schlicht, einfach, wir suchen es eher in den Hütten der Armen als in den Palästen der Reichen.
Sterne dagegen – immer etwas Erhabenes, etwas, zu dem man aufblickt. Eine Lichtquelle in der Nacht. Sterne geben dem Kundigen Orientierung. Sie dienten lange Zeit als Anhaltspunkte für die Seeleute. Einen klaren Sternenhimmel zu betrachten hat etwas Überirdisches. Es wird mit Segen verbunden: so zahlreich will ich dich machen wie die Sterne am Himmel, das ist die Verheißung an Abraham. Wir haben Sternwarten eingerichtet, um die Konstellation der Sterne zu beobachten, wir erleben Sternstunden, wenn etwas Tolles passiert. Hotels werden nach der Zahl eingestuft, ein Sternekoch kann mehr als nur Bratkartoffeln. Und wenn wir ein besonders gutes Auto fahren wollen, dann muss es schon einen Stern haben.
Auf den ersten Blick passt es also gar nicht zusammen: ein Strohstern. Etwas von ganz geringem Wert in der äußeren Form von etwas ganz Kostbarem und Unbezahlbarem. Aber vielleicht zeigt auch das symbolisch auf, was wir an Weihnachten feiern: das Unerreichbare, das weit Entfernte wird plötzlich handgreiflich und berührbar. Wenn wir am Weihnachtsfest die Menschwerdung Gottes feiern, dann soll das erst mal einer verstehen. Deshalb kann der Strohstern ein Symbol dafür sein, was die Theologen in komplizierte Worte hüllen: „In der Menschheit arme Hülle kleidet sich des Vaters Wort“ etwa. Aber auch ein einfacher Strohstern, wie er millionenfach in diesen Tagen verschenkt oder aufgehängt wird, ist letztlich eine Botschaft, dass Himmel und Erde sich verbünden, dass der Himmel erreichbar wird, dass der Himmel zu begreifen ist.
Die Botschaft eines einfachen Strohsternes ist die, dass unser Glaube nicht abgedreht ist. Unser Glaube lebt mit den Realitäten unseres täglichen Lebens. Das Leben in unseren Beziehungen, in Ehe, Partnerschaften, in den verschiedenen Generationen, in Familien mit allen Hoffnungen, Erwartungen, gelungenen Beziehungen gehört dazu. Und auch das Scheitern ist davon nicht ausgenommen. Und auch die Pandemie ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern wird zu unserem Leben auch in Zukunft dazugehören. Und die Konflikte weltweit werden uns auch im kommenden Jahr begleiten. Das macht unseren Alltag aus. Das Stroh wärmt und isoliert, aber es kann auch ordentlich stechen. Immer wieder sind es auch gesundheitliche Probleme oder Alterserscheinungen, die belasten, die zeitraubend sind und mancher von uns säße lieber am Stand von Mallorca statt im Wartezimmer vom Hausarzt. Das alles ist das Stroh unseres Alltags.
Aber das Stroh hat die Form eines Sterns. Und der Stern steht für die Träume, Hoffnungen und Visionen, die wir haben. Immer wieder erwarten Eltern ein Kind, voller Vorfreude und Hoffnung. Immer wieder zeigt sich menschliche Solidarität. Das war schon so in 2015, als die vielen Flüchtlinge kamen, das war im Sommer so bei der Flutkatastrophe. Das ist im Kleinen so, wenn die Nachbarn in einem Trauerfall so selbstverständlich da sind. Das ist auch, wenn die Wissenschaft uns einen Impfstoff zur Verfügung stellen kann. Das ist auch dann, wenn uns immer wieder eine Botschaft von Versöhnung, von Frieden gegeben wird. Das sind Sternstunden
Und so soll die Weihnachtsbotschaft sein: Seid dankbar für das Stroh des Alltags, auch wenn es immer mal wieder sticht, aber richtet den Blick immer nach oben, da wo die Sterne stehen. Und eure Strohsterne zu Hause werden euch daran immer erinnern.
Reinhard Bürger