32. Sonntag im Jahreskreis A, 12.11.2023
Im Mittelalter gab es in den Städten die Kirchtürme oder die Türme der Stadtbefestigung, auf den Wächter saßen und Wache hielten, um Alarm zu schlagen bei Feuer oder bei einem feindlichen Angriff. Später gab es dann Sirenen und heute haben wir eine Warn-App auf unseren Handys, um möglichst schnell bei einer Gefahr die Menschen zu warnen. Wenn das nicht funktioniert, dann kann es schnell zu großen Opfern kommen, wie die Katastrophe an der Ahr vor einigen Jahren gezeigt hat. Und auch unsere neuen Autos geben einen Piepton ab, wenn ich einem Hindernis zu nahe komme. Gefahren gibt es an vielen Stellen in unserem Leben. Deshalb muss ich wachsam sein.
Wachsamkeit ist eine Grundhaltung, die ich schon als Kind lernen muss. Die Eltern sind wachsam, dass ihr Kind nicht auf eine heiße Kochplatte fasst, bis das Kind es selbst lernt. Es gilt aber für viele Lebensbereiche, dass Menschen die Augen offen halten für das, was in der Welt um uns herum passiert. Wir sind im Moment höchst sensibel für das, was im Zusammenhang mit dem Krieg im Gazastreifen passiert. Wir registrieren, was vor Ort in Palästina und Israel passiert, wir sind aber auch höchst sensibel für das, was hier bei uns passiert. Judenfeindliche Äußerungen und Demonstrationen mit judenfeindlichen Symbolen haben erschreckend zugenommen – und das 85 Jahre nach dem Novemberpogrom von 1938. Damals haben viele weggeschaut und damit auch eine Eskalation der Gewalt gefördert. Auch wenn vielen diese Themen inzwischen zum Halse raushängen, ist hier hohe Wachsamkeit gefordert für alles, was sich in unserer Gesellschaft und in der Politik tut und welche Kräfte stark werden, die Diskriminierung und Gewalt verharmlosen.
Auch im Umfeld der gesamten Missbrauchsproblematik ist viel verschlafen oder totgeschwiegen worden. Wir erleben heute die Folgen: Verantwortliche müssen von ihren Ämtern zurücktreten, Statuen und Denkmäler kommen zu Fall, Plätze müssen umbenannt werden, es laufen zahlreiche Gerichtsverfahren, und die Geschädigten erwarten zu Recht Genugtuung und auch Entschädigungen und Anerkennung ihres Leides.
Ich könnte auch noch zahlreiche andere Beispiele nennen, etwa wenn es um die Bedrohung des Klimas geht. Oberflächlichkeit im Handeln und Eigennutz machen oft blind für eine notwendige Umkehr im Denken und Handeln.
Da klingt die Mahnung des Evangeliums, als wäre sie heute ausgerufen worden: Seid wachsam! Und sorgt dafür, dass ihr für das Wesentliche genügend Energie habt, sonst steht ihr im Dunkeln.
Für uns heute heißt das vor allem, dass wir solide informiert sind. Ich muss mir schon genau überlegen, woher ich meine Informationen beziehe, wo seriös berichtet wird, wo fundierte Kommentare gegeben werden, oder wo Stimmungsmache betrieben wird. Diese Entscheidung liegt ganz bei mir selbst, wo und wie ich mich informiere. Das ist durchaus manchmal anstrengend und nicht immer leichte Kost.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Frage, welche Werte ich selbst für wichtig erachte. Und je mehr Werte im öffentlichen Leben über den Haufen geworfen werden, um so mehr entdecke die Haltungen, die im Evangelium kundgetan werden, als Haltung, für die ich selbst stehen möchte. Der Respekt vor dem anderen Menschen, die Wertschätzung des Schwächeren, und die Überzeugung, dass jeder Mensch Abbild Gottes ist das, wofür ich stehe. Und das entdecke ich im Evangelium immer wieder neu. Und ich freue mich über alle öffentlichen Zeichen, die das propagieren, Wortmeldungen, Demonstrationen, Kunst und Musik. Dafür gilt es, immer mehr wachsam zu werden.
Der Liedermacher Reinhard Mey hat schon vor 30 Jahren dazu ermahnt:
„Sei wachsam.
Präg dir die Worte ein.
Sei wachsam
und fall nicht auf sie rein.
Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt
Sei wachsam
Merk dir die Gesichter gut
Sei wachsam
Bewahr dir deinen Mut
Sei wachsam
Und sei auf der Hut.