30. Sonntag im Jahreskreis (A) 2020
„Die Liebe zählt nicht, nur die Liebe zählt!“ An diesen bekannten Ausspruch von Pauline von Mallinckrodt musste ich denken, als ich die biblischen Texte des heutigen Sonntags las. Dieser Satz war das Lebensmotto der seligen Ordensgründerin aus unserem Bistum. Zeit ihres Lebens lagen ihr die Menschen in sozialer Not am Herzen. So gründete sie bspw. ein Kinderheim für Kinder von erkrankten Müttern oder eine Blindenanstalt. Da sie keinen Orden fand, der bereit war, auch die Blindenanstalt zu übernehmen, gründete sie selbst mit der so genannten „Kongregation der Schwestern der Christlichen Liebe“ eine Ordensgemeinschaft, deren Mutterhaus heute noch in Paderborn besteht.
„Die Liebe zählt nicht“, das könnte auch die Zusammenfassung der Lesung sein, die wir gerade gehört haben:
„Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten“, oder:
„Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand,
dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
denn es ist seine einzige Decke. Worin soll er sonst schlafen?“
Der Schreiber dieser Worte legt damit dem Volk Israel noch einmal die Grundzüge seiner religiösen Verfassung nahe. Die Liebe macht das Wesen der Beziehung zu Gott aus, eine Liebe, die keine Grenzen und Mauern kennt, die nicht unterscheidet zwischen denen, die zum Volk gehören und denen, die fremd oder anders sind.
„Nur die Liebe zählt!“ So könnte man auch die Antwort Jesu auf die Frage des Gesetzeslehrers nach dem wichtigsten Gebot zusammenfassen: „Du sollst Gott lieben und den Nächsten wie dich selbst.“ – Es gibt kein Wichtig und Unwichtig: „Nur die Liebe zählt!“
Dabei gilt auch: Es gibt nur eine Liebe. Wir reden zwar immer vom Doppelgebot der Liebe, aber es ist keine zweifache Liebe, wobei man die eine von der anderen unterscheiden könnte, denn Liebe kennt keine Grenzen und Unterscheidungen. Und so ist das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe sowie der Selbstliebe in Wirklichkeit ein und dasselbe Gebot – mit zwei Zielrichtungen: Gott und Mensch. Die Liebe, die von Gott ausgeht, können wir nur erwidern, indem wir uns selbst und den Nächsten lieben. Die Liebe zu Gott findet ihren Ausdruck in der Selbst- und der Nächstenliebe. Das eine geht nicht ohne das andere.
„Die Liebe zählt nicht!“, d. h. sie kennt keine Grenzen, sie fragt nicht, hey, was ist das Wichtigste oder sagt, hey, irgendwo ist aber auch mal Schluss mit der Liebe, sondern es gilt immer: „Nur die Liebe zählt.“
In diesem Zusammenhang stieß ich vorgestern auf der Internetseite unseres Erzbistums auf ein Foto mit einem kurzen Bericht dazu. Auf dem Foto war eine Reihe junger Menschen zu sehen, u. a. auch eine Muslima mit einem Kopftuch. Beim Lesen des Artikels stellte sich heraus, dass es sich um Mitglieder von „Young Caritas“, einer Art Jugendorganisation der Caritas, handelte. Diese Gruppe zieht regelmäßig mit einem roten Bollerwagen durch die Dortmunder Innenstadt, um nach Menschen zu schauen, die Hilfe benötigen in Form eines warmen Getränkes, eines guten Wortes, etwas zu essen o. ä. Die Mitglieder von „Young Caritas“ handeln nach dem Motto „Hingehen statt wegsehen!“. Und dabei setzen sie keine Grenzen. Wer in Not ist, bekommt Hilfe. Punkt! Es geht ihnen einfach darum, lebendige Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen zu setzen – über alle Grenzen, die wir oft so gerne ziehen, hinweg.
Und was mich an diesem Beispiel außerdem fasziniert hat, ist die Tatsache, dass hier auch keine Grenzen in Bezug auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft gesetzt wurden. Ganz selbstverständlich schien mir die muslimische Frau dazu zu gehören. Auch hier also: „Die Liebe zählt nicht“, auch nicht das Taufbuch oder die Geburtsurkunde, sondern „nur die Liebe zählt“.
Überall wo wir bspw. teilen, was auch immer wir haben: Zeit, materielle Güter, das Dach über dem Kopf, die Sorgen und Nöte der anderen; überall, wo wir Anteil geben und Anteil nehmen am anderen z. B. durch ein offenes Ohr oder ein kleines Zeichen der Nähe wird (Nächsten)Liebe konkret, werden wir selbst lebendige Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen.
Und wer behauptet, Gott zu lieben, aber den Nächsten verachtet, der steht nicht in der Nachfolge Jesu, denn es gibt keine Liebe zu Gott ohne Liebe zum Nächsten und keine Liebe zum Nächsten ohne Liebe zu Gott. Und diese Liebe kennt keine Grenzen, weil Gottes Liebe keine Grenzen kennt.
Gottes- und Nächstenliebe sind also untrennbar miteinander verbunden. In tätiger Nächstenliebe möchte Gott auch heute spürbar werden – über alle menschlichen Begrenzungen hinweg. Denn: „Die Liebe zählt nicht, nur die Liebe zählt!“
Amen!