2. Weihnachtstag 26. 12. 2022 (F)

Es ist ein Ros‘ entsprungen… seit dem 16. Jahrhundert eines der beliebtesten Weihnachtslieder. Es gibt dieses Lied in katholischer Fassung, mit Strophen aus evangelischer Tradition, in mennonitischer Fassung, in Deutsch und Englisch, in Niederländisch und Französisch und vielen anderen Sprachen. Der Text des Liedes dramatisiert die Geburt Jesu: das Ganze passiert mitten im Winter, wo es eiskalt ist, dazu mitten in der Nacht, wo das Leben normalerweise ganz runtergefahren wird und wo keiner unterwegs ist. Und dabei geht es nicht darum, Fakten zu beschreiben, sondern Stimmungen und Befindlichkeiten: dieses Kind ist unter völlig unwirtlichen Bedingungen in die Welt gekommen.

Wenn das heute wäre, wo könnte das sein? Ich stelle mir vor: einen riesigen Autobahnrasthof bei Nacht, wo unendlich viele LKW’s um Parkplätze rangeln, Fahrer, die in ihren Kabinen pennen müssen, zum Pinkeln in die Büsche gehen, zwischendurch ein paar Butterbrote essen. Eine Kulisse, bedrohlich für Fußgänger zwischen den riesigen Lastwagen, zugig und unwirtlich, in der nächtlichen Raststätte vielleicht ein paar Bockwürstchen. Und dazwischen eine hochschwangere Frau.

Die biblischen Berichte sagen nichts von einem kalten Winter, aber sprechen recht nüchtern von einer Flucht. Und da sind wir schnell im Heute. Nicht nur in Betlehem ist es ungemütlich und lebensbedrohend, sondern weltweit ist es sehr kalt geworden, gefühlskalt. Deshalb passt auch, das ‚Mitten im kalten Winter‘ gut. Auch unsere Kirchen und viel öffentlichen Gebäude sind in diesem Winter kalt und kälter als sonst. Von den Graden auf dem Thermometer sicherlich, aber auch vom Zusammenleben. Es ist kalt geworden in unserer Welt: Gewalt beherrscht die Medien, Verzweiflung hat viele Menschen erfasst, so dass sie sich auf der Straße festkleben. Verständigung in Familien und Lebensgemeinschaften ist nicht selbstverständlich und Angehörige gehen sich aus dem Weg. Deshalb passt die Beschreibung vom kalten Winter, in dem eine Rose blüht. Der Dichter hat wahrscheinlich das biblische Wort vom Reis, von dem Jesaja spricht, umgedeutet zur Rose, aber das ist dichterische Freiheit. Rose ist das Symbol für Zuneigung, für Liebe, für Leben. Und so deutet auch der Dichter Rainer Maria Rilke die Rose als ein Symbol, das leben lässt.

Und vielleicht können wir uns ein Beispiel daran nehmen und die alttestamentliche Reis/Rose als weihnachtliches Zeichen sehen, das für Neuanfang und Leben und Zuneigung steht. Am Hildesheimer Dom steht hinter der Apsis ein Rosenstock, über tausend Jahre alt. Im Krieg war er von Trümmern verschüttet und zerstört. Die Trümmer aber haben ihn geschützt, so dass er nach dem Wiederaufbau von Neuem gewachsen ist und jedes Jahr kräftig blüht.

Aber neben unseren Symbolen gibt auch die wirklichen Rosen, die verschenkt werden, durch die Wärme in unsere Häuser kommt.

Zahlreiche Schüler der Kautsky-Grundschule haben in den letzten Tagen Päckchen gepackt mit Nahrungsmitteln und Geschenken, die verteilt worden sind an Familien und einzelne Personen, die als Flüchtlinge hier unter uns leben.

In Dortmund gibt es den Wärmebus, heute Herzensbus, eine Initiative für Menschen, die Nähe, Zuspruch und Wärme brauchen.

Aber es gibt die vielen Momente, die nicht öffentlich sind. Wo wir durch Kinder erfahren: Gott hat diese Welt noch nicht aufgegeben.

Und ich habe noch eine vierte Rose. Wem soll ich die jetzt geben? Ich gebe sie einfach beliebig weiter. Ein Zeichen dafür: jeder von uns kann eine Rose bekommen. Er braucht auch gar nichts dafür tun. Jeder ist eine Rose wert und kann davon eine ganze Woche leben.

Jetzt wird mancher sagen: schade, es haben nur 4 Menschen eine Rose bekommen, die anderen 185 aber nicht! – Nein, jeder und jede bekommt eine Rose, aber eine kleine, dafür hält die länger, geklebt oder mit Magnet, am Türrahmen, am Kühlschrank, auf dem Laptop oder auf dem Autolenkrad.

Machen wir so aus dem kalten Winter dieser Welt ein Land, in dem viele Rosen blühen.

Reinhard Bürger