Predigt 20. Sonntag im Jahreskreis B 2021 (M. Himmelfahrt)

Schwestern und Brüder,

wenn die Kirche in ihrer Geschichte nach Irrlehren gesucht hat, dann ist sie da sicherlich oft über das Ziel hinaus geschossen. Sie war verbohrt und fanatisch. Sie hat sich versündigt und es klebt gar Blut an ihren Händen.

Wenn Kirche von Irrlehre spricht, dann geht es ihr im Idealfall nie nur um eine theologische Haarspalterei, nie nur um den Irrtum, den man austrotten muss, sondern es geht immer auch darum, ob eine Lehre den Menschen dabei schadet oder hilft, ein frohes Leben zu führen. Es geht um das, was man früher „Seelenheil“ genannt hat. Denn Seelenheil beginnt ja schon auf der Erde und nicht erst, wenn wir tot sind!

Das Fest der Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel „mit Leib und Seele“, wie der Text des Dogmas aus dem Jahre 1950 ausdrücklich sagt, ist eine friedliche und fromme Antwort auf eine Irrlehre: nämlich die der Leibfeindlichkeit. Leibfeindlichkeit ist eine Irrlehre, weil sie dem Heil des Menschen nicht förderlich ist. Auch wenn Leibfeindlichkeit in der Geschichte der Kirche immer wieder vorkam und vorkommt, bleibt Leibfeindlichkeit doch eine Irrlehre. Auch wenn manche meinen, besonders fromm zu sein, wenn sie leibfeindlich sind, so ändert das nichts an dem Schaden, den Leibfeindlichkeit anrichtet.

Für Christen und Christinnen, so bekräftigt das Fest Maria Himmelfahrt,  gibt es keine Trennung von Leib und Seele. Ganz biblisch sieht das Christentum Seele und Leib als eine Einheit. Der Leib ist für Christen nicht das Gefängnis oder gar das Grab der Seele, wie die antike Philosophie das gerne ausgedrückt hat. Leib und Seele bilden eine Einheit. Und das wird ja durch die Moderne Medizin auch bestätigt, wenn sie sagt, daß alle seelischen Vorgänge auch eine leibliche Seite haben. Was daher gut für den Leib ist, ist auch gut für die Seele und umgekehrt.

Und meinen wir nicht, nur weil uns aus Zeitungen, dem Fernsehen und von Plakaten überall her Nackte entgegenkommen, sei unsere Zeit nicht leibfeindlich. Das Gesicht der Leibfeindlichkeit hat sich nur gewandelt: man fühlt sich nicht wohl in seinem Körper, macht eine Diät nach der anderen und operiert und spritz so lange an ihm herum, bis er endlich passt. Oder man trainiert den Körper so sehr, daß es der Gesundheit schadet. Andere suchen das Heil in der Loslösung vom Leib durch Trance, Meditation und Drogen. Und dann gibt es da auch noch immer eine Strömung großer Sexualfeindlichkeit, vielleicht die schlimmste Form der Leibfeindlichkeit, ist Sexualität doch gottgeschenkt und kann daher nicht vom Bösen sein.

***

Gegen all diese Unter- und Überbewertungen des Leibes steht die Bibel. Der Leib ist einfach nicht mehr aber auch nicht weniger als unsere Weise in der Welt zu sein. Der Leib ist es, durch den wir mit anderen leben. Essen, Trinken, Sprechen, Schauen, Berühren, Verletzen, Heilen – all das sind Vorgänge, durch die unser von Gott beseelter Leib Beziehung zu anderen Menschen hat. Am wichtigsten aber vielleicht: Gott selbst, so glauben wir, hat in Jesus Christus diesen Leib angenommen, um uns zu begegnen.

Und so ist das Festevangelium des heutigen Tages ein leibhaftiges Evangelium, ein vom Leib geprägtes Evangelium:

zwei Schwangere begegnen sich;

das Kind der einen hüpft „vor Freude in ihrem Leib“,

Elisabeth ruft: „gesegnet ist die Frucht deines Leibes“;

Und dann ist da das Lied des Jubels, in dem Maria sich freut über ihren Gott. Sie singt davon, daß Gott mit ihr in leiblicher Beziehung steht. Sie singt auch davon, daß Gott leibliche Dinge tut: er stürzt die Mächtigen und wendet sich den Hungernden zu. Maria bejubelt ihren Gott, weil aus ihrem Leib das Heil der Welt geboren werden soll.

***

 

In all dem Jubel über den Leib soll aber der Schmerz nicht verschwiegen werden. Bei noch so guten Medikamenten und Schmerztherapien, die es gibt, wird der Schmerz doch immer ein körperliches Erlebnis von uns allen bleiben, auch der seelische Schmerz.

Deswegen hat das Christentum immer großen Wert darauf gelegt, darauf hinzuweisen, daß wir an einen Gott glauben, der an seinem Leib den Schmerz des Unrechts und der Gewalt erlitten hat. Deswegen hat die Kirche es immer bestritten, wenn gesagt wurde, Gott kenne keinen Schmerz. Gott kennt Schmerz! Denn gerade der Schmerz des Kreuzes soll uns ja sagen: Gott will uns in unserem Leib begegnen, weil auch wir Leib sind und wir Menschen einander in unseren Leibern begegnen – im Guten wie im Schlechten.

***

Das Ziel unseres Lebens beschreibt die Bibel als Begegnung mit Gott in unserem Leib. Wenn wir im Glaubensbekenntnis bekennen, daß Christus auferstanden ist von den Toten, daß er aufgefahren ist in den Himmel, daß er zur Rechten des Vaters sitzt, dann hat damit das Ziel unseres Lebens bereits begonnen: unser menschlicher Leib ist schon längst untrennbar mit Gottes Herrlichkeit verbunden. Und Leib meint immer: das, was wir als Menschen sind, mit unseren Freuden und Schmerzen, mit unseren Erfahrungen, Hoffnungen Enttäuschungen. Gott hat all das längst in seine Gegenwart hinein verwandelt, als er Christus auferweckt hat von den Toten!

Mögen auch durch die Jahrhunderte hindurch sich noch so kluge Köpfe an dieser Lehre von der Leiblichkeit gestoßen haben, so bleibt es doch wahr: nicht nur eine im Leib wohnende Seele, sondern der ganze Mensch mit Leib und Seele wird bei Gott sein, wenn wir uns von ihm verwandeln lassen. Das feiern wir mit dem Fest der Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel.

Es ist ein Fest der Leibhaftigkeit, das uns auf etwas aufmerksam macht, was keineswegs nebensächlich ist: an Maria, „voll der Gnade“ hat sich bereits die Verheißung erfüllt, die an jede und jeden von uns ergangen ist. Maria ist deswegen „gesegnet mehr als alle anderen Frauen“, weil Gott an ihr zeigen wollte, was die Auferweckung seines Sohnes für uns alle bedeutet.

Schwestern und Brüder,

eigentlich müsste dieses Fest unseren Glauben sinnlicher machen.

Es müsste uns eigentlich aufgehen, daß unser Glaubensleben nicht abgehoben sein darf von dem, was unser Leben sonst ausmacht.

Unser Glaube darf nicht das sonntägliche Sahnehäubchen auf unserem Alltag sein, in dem Gott kaum eine Rolle spielt, sondern Glauben und Leben müssten eins sein.

Und dieses Fest müsste uns daran erinnern, daß unser Glaube zuerst Begegnung ist, Begegnung von Menschen, so wie bei Maria und Elisabeth – bis wir einst alle unserem Gott in unserem Leib begegnen.

AMEN.