Predigt 4. Adventssonntag Lesejahr A 2022

Schwestern und Brüder,

am heutigen 4. Advent wollen uns die Eltern Jesu selbst hineinhelfen in das Geheimnis der Weihnacht. Betrachten wir in dieser Stunde die beiden genauer.

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Der heilige Josef ist eine späte Entdeckung der Frömmigkeit. Erst in der Zeit des Barock ist er zu höheren Ehren gekommen. Bis ins 15. Jahrhundert hinein hat man sich nicht sehr für ihn interessiert. Die erste Kirche nördlich der Alpen, die ein Josefspatronat hat, ist meine Heimatkirche in Dortmund-Kirchlinde. Im Zuge der Gegenreformation wird sie 1686 aus einer Katharinenkirche zur Josefskirche.

Josef tritt in der Bibel an zwei, drei Stellen in den Kindheitserzählungen Jesu auf und wird dann in der Bibel nicht mehr erwähnt. Die Menschen des Barock schlossen daraus, er sei früh gestorben und so wurde er zum Patron der Sterbenden. Die Zeit des Barock mußte sich alles genauestens und bildlich ausmalen, deswegen entsteht ein beliebtes Andachtsmotiv: Josefs Sterbestunde, Jesus und Maria ihm die Hand haltend. Seine Verehrung wird so populär, daß ihn ein Papst zum „Patron der Kirche“ erhebt. Der, der das Kind Jesus beschützt hat, soll nun die Kinder Jesu behüten…

Im 19 Jahrhundert, als die Arbeiterbewegung Fahrt aufnimmt, Gewerkschaften und die sozialdemokratische und auch kommunistische Parteien gegründet werden, bildet Josef als Handwerker das katholische Gegenbild. Am 1. Mai feiern nicht nur die „Roten“, sondern man feiert auch das Fest „Josef der Arbeiter“…

Sehen wir auf unser heutiges Evangelium.

Josef dürfte wenig erfreut gewesen sein, als Maria schwanger war. Verlobung war damals ein verbindlicher Rechtsakt. Auf deren Bruch durch die Frau stand die Steinigung der Frau. Wir brauchen uns die Gedanken Josefs im Detail nicht auszumalen.

Josef ist verwirrt und schläft eine Nacht über das Problem. Übrigen in vielen Situationen ein guter Rat. Er kennt seine Maria so gut, daß für ihn das Naheliegende nicht nahe liegt. Er traut ihr die naheliegende Untreue nicht zu und will auch nicht ihre naheliegende Tötung.  Er entscheidet nicht schnell und gibt Gott eine Chance mitzuentscheiden. Und im Traum der Nacht klärt sich, was in der Hektik des Tages verwirrt hat:

Josef entdeckt seine Identität neu: du, Josef, bist ein Sohn Davids, du bist Nachfahre dieses großen Königs!

Josef ist mit der Heiligen Schrift vertraut. Er erinnert sich: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen.“ Er weiß um die Prophetie des Jesaja.

Josef hört ganz deutlich den Namen „Immanuel“, „Gott mit uns“ und er versteht: hier muß Gott am Werk sein.

„Josef, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen.“, sagt der Engel.

Furcht befällt Josef also. Es ist nicht nur zur damaligen Zeit ein großer Schritt, zu einer Frau zu stehen, die ein Kind erwartet, das offensichtlich nicht von ihrem rechtmäßigen Mann stammt. Das Risiko ist groß, zusammen mit der Frau verurteilt zu werden. Das ist fast ein gesellschaftliches Gesetz: Wer sich mit dem Verurteilten abgibt, wird selbst verurteilt… Schon ein Grund zur Furcht…

Die zweite Möglichkeit, die Furcht Josefs zu verstehen, geht in eine ganz andere Richtung.

Was, wenn Josef verstanden hat, was das bedeutet: „Das Kind, das Maria erwartet, ist vom Heiligen Geist.“?

Was, wenn Josef seine Maria so gut kennt, daß er sofort weiß, daß Gott selbst diese Frau in einzigartiger Weise berührt hat?

Was, wenn Josef sich fürchtet, sich Maria zu nähern, weil er spürt, daß er, um mit der Geschichte vom Dornbusch zu sprechen, „heiligen Boden betritt“?

Wie auch immer wir Josefs Furcht deuten wollen – er muß sich entscheiden. Aber er geht nicht unvorbereitet in diesen Entscheidungsprozess. Josef ist „gerecht“, sagt das Evangelium. Und „gerecht“ meint: mit dem Wort und den Geboten Gottes vertraut, Gottesdienst feiernd, meditierend und sich mit anderen über den Glauben austauschend. Dreimal berichtet die Bibel: „Als Josef erwachte, tat er, was der Engel im Traum gesagt hatte…“ Josefs Gewissen ist im Glauben geschärft. Sein Gewissen ist so wach, daß es noch im Schlaf die Stimme des Engels hören kann…

Noch eine Bemerkung sei gemacht, um das Bild Josefs abzurunden: von Josef ist in den Evangelien, kein einziges Wort überliefert, das er selbst gesagt hat. Ich glaube nicht, daß er eine Mann war, der nichts zu sagen hatte. Die Evangelien überliefern wohl deswegen nichts, weil sie sagen wollen: Josef ist ein Mann der schweigenden Pflichterfüllung. Solche Menschen, so wie Josef,  sagt die Bibel, braucht Gott, um in der Welt anzukommen. Menschen, die nicht ihren wechselnden frommen Gefühlen folgen, sondern demütig treu sind, Menschen, die wirklich Gott und nicht ihrem aufgeblasenen Ich dienen wollen.

Solch ein Leben, das sicherlich alles andere, als ein Leben am Rande war, durfte den hüten, der der Retter der Welt, der „Gott mit uns“ ist.

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Sehen wir in einem zweiten Schritt auf Maria. Machen wir uns klar, was diesem jungen Mädchen von dreizehn, vierzehn Jahren passiert ist. Das Lukasevangelium berichtet, ein Engel sei zu ihr ins Zimmer gekommen und habe ihr verkündet, sie werde den Sohn Gottes zur Welt bringen. Und auf ihr Nachfragen sagt ihr der Engel, das Kind stamme von Gottes Heiligem Geist. „Denn für Gott ist nichts unmöglich!“, sagt der Engel. Und da ist Marias lapidare Antwort: „Ja, mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Ist uns bewußt: in dieser kurzen Stille zwischen dem Satz des Engels und der Antwort Marias liegt der Augenblick der Weltenwende. Es müßte uns eigentlich den Atem verschlagen, wenn wir uns klar machen, was Maria sich mit ihrer Antwort aufbürdet. Und es müßte uns den Atem verschlagen, wenn wir bedenken, daß diese Antwort Marias die Rettung der Welt erst möglich macht. Sie hat, obwohl sie die Freiheit hatte, es zu tun, nicht Nein, sondern Ja zu Gottes Plänen mit ihr gesagt.

„Ja, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Diese Antwort ist nicht nur der große Augenblick im Glauben Mariens, sondern auch der große Augenblick in unser aller Glauben! Denn in dieser Antwort, in diesem Ja, strömt das Heil in diese Welt: Gott wird in diesem Augenblick des „Ja“ Mensch, „Immanuel“, „Gott mit uns.“

Im Ja Marias wird aber noch ein anderes Ja sichtbar: nämlich das Ja Jesu. Wir blicken jetzt in das Geheimnis unseres Gottes: Im Moment des Jas Marias, willigt auch Jesus ein in den Willen des Vaters, spricht sein Ja und wird Mensch. Maria gibt sich ganz ihrem Gott hin und Jesus willigt ein in seine Menschwerdung und seine Hingabe für uns Menschen bis ans Kreuz. Indem Maria Ja sagt, sagt auch der Sohn Gottes Ja zum Opfer für uns, mitten unter uns.

Zu Maria kommt ein Engel, ein Bote Gottes.

Wie ist das: Sind wir uns bewußt, daß uns in unserem Leben auch immer neu, jeden Augenblick der Bote Gottes begegnet? Ob Freude oder Schmerz, ob Erschrecken oder Geschenk, ob Ruf um Hilfe oder Erfüllung…immer steht da der Bote Gottes – dann nämlich, wenn wir, wie Maria, Ja sagen zum gegenwärtigen Augenblick, Ja sagen zu dem, was Gott mir für diesen Augenblick schenkt.

Wo wir das tun, da mischt sich unser Ja mit dem Ja Jesu und dem Ja Marias.

Wo wir uns der Gegenwart unseres Lebens mit ihren Anforderungen hingeben, wo wir glaubend hinnehmen, daß alle unsere Zeit Gottes Zeit ist, haben wir Teil an der Hingabe Jesu und Mariens.

Wenn wir in der Kraft des Geistes Gottes Ja sagen zu dem, was und wie unser Leben ist, weil es von Gott ist, dann erneuern wir das Ja Mariens und ihres Sohnes.

Wo wir das tun, was Gott uns zu tun auferlegt, da bricht er und sein Reich in dieser Welt durch, da wird er durch uns und in uns Mensch, da bringen wir Christus zur Welt…

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Schwestern und Brüder,

lassen wir uns in den letzten Tagen des Advent von Josef und Maria an die Hand nehmen, üben wir uns ein in ihre Lebens- und Glaubenshaltung, damit wir gesegnete Weihnachten feiern können.

Amen.