Pfingsten 2021

Liebe Gemeinde,

seit über einem Jahr sind wir in unseren Kirchen nur noch Zuhörer. Singen ist nicht erlaubt – zu gefährlich. Allein singen, das ist nur möglich unter der Dusche oder im Garten. Tun Sie das? Ja, Tun es Sie!

Vielleicht versuchen Sie es mit einem besonderen Lied, das sich Gotteslob findet (der Text ist auf dem Gebetszettel abgedruckt). Ich finde, es ist eines der schönsten Lieder zum Heiligen Geist, auch wegen seiner wunderbaren Melodie. Sie wiegt uns zärtlich, tröstend, so wie Eltern es tun, wenn ihr Kinde Schmerzen hat, oder wie es Verliebte tun, wenn sie gemeinsam etwas Schönes erleben dürfen. Lassen wir uns von der Melodie des Liedes wiegen vom Tröster, vom Heiligen Geist, und denken wie dabei einmal ein wenig über den Text der einzelnen Strophen nach.

  1. Strophe vorsingen

Die Melodie ist 400 Jahre alt, der Text von Marie-Luise Thurmair hat auch schon 50 Jahre auf dem Buckel. Aber er passt wunderbar in unsere Zeit. Es ist eine finstere Nacht, in der sich viele Menschen befinden, seit das Corona-Virus den Weg zu uns fand. Viele sind in die Nacht der Einsamkeit und des Todes gegangen. Viele haben keine Arbeit mehr, stehen vor den Trümmern der Existenz, die sie sich aufgebaut haben. Das Licht am Ende des Tunnels, der erste Schimmer einer Morgenröte, taucht so langsam am Horizont auf (aber nicht in allen Ländern der Welt).

  1. Strophe vorsingen

Ja, es ist eine Last, die wir tragen. Wir dürfen es sagen und uns fragen: Wann dürfen wir sie ablegen? Komm Heiliger Geist und hilf uns tragen. Mache uns Mut, weiter-zugehen mit dem Schweren auf unseren Schultern und in unseren Herzen. Schenke uns Pausen auf diesem schweren Weg; Momente, in denen wir lachen können; tief Luft holen; in denen alles leicht und hell und schön wird. Sei bei uns Armen Gast. Zu lange schon gehen wir durchs Leben, ohne das wir die Menschen, die uns lieb sind, in gewohnter Weise sehen und in den Arm nehmen können. Wir möchten wieder Gast sein, wir möchten gerne wieder für andere Gastgeber sein. Jetzt, wo wir noch vorsichtig sein müssen – sei du unser Gast.

 

  1. Strophe vorsingen

Der Geist ist Tröster, Gott sei Dank. Aber er ist noch mehr: Er ist auch Feuer, Mitgeher, Helfer, Mutmacher. Der Geist ist ansteckend im positiven Sinn. Er hilft uns, dass wir uns nicht zufrieden geben mit dem, was ist. Es muss doch anders gehen, es muss doch mehr gehen. Mehr Miteinander, mehr Solidarität, mehr Zukunft für alle – in unserer Gesellschaft und auch in unserer Kirche. In uns brennt eine Sehnsucht und der Geist schürt sie. Mit ihm als Beistand bauen wir Gottes Reich. Manchmal scheint es mir, als würde alle das, was wir aufbauen, von arroganten, lieblosen, karrieresüchtigen Menschen wieder niedergerissen, und es gibt sie auch in unserer Kirche – wem sage ich das. Aber jedes Mal, wenn wir uneigennützig etwas von uns hergeben: ein bisschen Zeit; ein Wort der Ermutigung; eine Spende für die, die es schwer haben; die Kraft, die wir noch haben; – dann bauen wir weiter an diesem Reich Gottes. Und der Geist baut mit und bringt uns ans Ziel.

  1. Strophe vorsingen

So viel Gewissheit ist ins Rutschen gekommen in diesem Jahr. „Auf Sicht fahren“ – so heißt das, wenn man heute nicht wusste, was morgen kommt. Das tut uns Menschen nicht gut und macht Angst. Wir möchten uns verlassen können, brauchen Halt, wenn nichts mehr sicher ist. Was sollen wir tun? Was sollen wir sagen und wie sollen wir trösten? Uns fehlen oft die Worte. Diese Erfahrung haben Menschen ja in allen Jahrhunderten gemacht und haben um den Geist gebetet – nicht nur an Pfingsten. Ich möchte mich verlassen auf die Kraft Gottes, wo meine nicht reicht. Ich möchte vertrauen, das er mir das richtige Wort zur rechten Zeit schenkt; die Kraft, einen Müden zu stützen, und auch den Mut, laut zu werden wo „das war schon immer so“ nicht weitergehen darf.

  1. Strophe vorsingen

Für all das, was ins Stocken geraten ist, was wie tot daliegt und keine Kraft mehr hat, brauchen wir eigentlich einen Sturm, das Brausen von Pfingsten wie damals. Aber unser Lied verspricht nur einen „Hauch“. Einen Atemzug. Aber es ist das ent-scheidende bisschen Luft, das Adam, den Ersten, zum Leben erweckte. Das Letzte, was Jesus gab, als er unser Schicksal teilte. Das, wonach in dieser Pandemie alle ringen – ganz konkret und lebensbedrohlich in den Krankenhäusern, aber auch in der lähmenden Apathie dieser Tage. Komm, Hauch, Atem Gottes, bringe uns wieder auf die Beine. Zeige uns den richtigen Weg – den Weg, der zum Leben führt: hier und einmal bei Gott. Amen.

Manfred Wacker