Pfingstmontag B, 24. 5. 2021
Es wird erzählt von einer Ordensschwester aus Südafrika, die von ihrer Gemeinschaft nach Deutschland versetzt worden war, andere Kultur, fremde Umgebung, andere Sprache, die man erst lernen muss. So setzte man sie erst einmal in der Küche ein – Gemüse putzen und Kartoffeln schälen, kochen und spülen, das kann man überall auf der Welt. An einem Tag im höchsten Kochbetrieb bat die zuständige Küchenschwester die neu Mitschwester: „Gib mir doch bitte mal den Schneebesen!“ Die Mitschwester verschwand und kam erst mal nicht wieder. Die Küchenschwester wunderte sich holte sich schließlich selbst den Schneebesen aus der Schublade und kochte weiter. Nach zwanzig Minuten stand die andere Schwester vor ihr und präsentierte stolz und glücklich den großen Straßenbesen, mit dem man im Winter den Schnee weggefegt hatte. Okay – woher soll man auch wissen, dass ein „Schneebesen“ weder etwas mit „Schnee“ noch mit „Besen“ zu tun hatte (Andrea Schwarz).
Das ist noch eine recht unterhaltsame Folge von dem, was das Buch Genesis mit der Erzählung vom Turmbau zu Babel beschreibt. Die Menschen erleben, dass sie einander nicht mehr verstehen. Sie erleben, dass es viele Sprachen und Dialekte gibt oder dass Wörter ganz verschiedene Bedeutungen haben können. Was ein stolzer Schimmel, das weiße Pferd, mit dem Schimmel auf dem verdorbenen Brot zu tun hat, erschließt sich mir auch nicht sofort.
Die Wirklichkeit ist aber noch viel ernster. Der Konflikt zwischen Palästinensern und Israel zeigt und deutlich, dass mangelnde Verständigung nicht nur Grund zum Schmunzeln ist, sondern auch Raketen und Tod bedeuten kann. Und wenn wir an unsere aktuelle Situation denken, merken wir, wie schwierig im Umgang mit der Pandemie die Abstimmungen unter uns sind. Die täglich neuen Vorgaben, unerwartete Situationen, komplizierte Kommunikation, all das lässt uns in einem Zustand zurück, die ich oft als ein modernes Babel erlebe: ein Durcheinander von Informationen, Einschätzungen und Entscheidungen. Und das macht etwas mit uns: wir sind in vielen Fällen ratlos, werden aggressiv, gehen auf innere Distanz, und haben dann manchmal die Schnauze voll. So wie das Projekt eines himmelstürmenden Turmes gescheitert ist, so ist auch das Konzept einer funktionierenden Gesellschaft stark belastet. Davon sind auch die Kirchengemeinden betroffen. Schulen, Kitas, Verwaltungen, die Politik arbeiten kräftemässig und emotional am Limit.
Als Alternative dazu diesem babylonischen Sprachengewirr steht der Bericht vom Pfingstereignis. Jerusalem ist der Hotspot der jüdischen Welt. Wallfahrt, Jahrmarkt, Stimmengewirr, die Stadt voller Ausländer. Hier schließt sich der Kreis, der mit dem Turmbau zu Babel begonnen hat. Die verschiedenen Sprachen sind nicht mehr Grund für mangelnde Verständigung, sondern werden zu einem Impuls, das Trennende zu überwinden. Die Perspektive des Evangeliums wird geweitet auf den gesamten Mittelmeerraum. Den noch verängstigen Jüngern wird klar: nicht unsere gemütliche und sichere Herberge ist unsere Welt, sondern fremde Sprachen, neue Kulturen, andere Gewohnheiten sind unsere Zukunft. Was in Babel noch ‚Zerstreuung‘ hieß und negativ besetzt war, heißt nun ‚Vielfalt‘ und ‚Offenheit‘ und ist hoffnungsvoll besetzt. Es ist verbunden mit Wandlung und Veränderung bei den Betroffenen: sie begannen, in fremden Sprachen zu reden… Sie finden neue Worte für das, was sie bewegt.
Wir können so etwas auch erleben, wie bewegend es sein kann, wenn neue Worte gefunden werden. Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 vom Kriegsende in Europa von „Befreiung“ sprach, war das für viele eine sehr gelungen Deutung des Kriegsendes für uns Deutsche.
Zur Zeit bewegt uns die Genderdebatte, weil wir dabei sind, neue Worte zu finden für das Verhältnis der Geschlechter. Das ist manchmal noch recht holprig und verkrampft, aber da sind wir insgesamt auf einem guten Weg.
Auch die Debatte um die Segnung homosexueller Partnerschaften in der Kirche macht mir deutlich, dass wir auf dem Wege sind, neue Worte zu finden für das, was sich in unserer Welt tut.
Und wenn wir auch mit der Erfahrung der Pandemie wieder nach vorn schauen, dann kann es nicht einfach heißen: wir ziehen uns, wenn alles vorbei ist, wieder hinter unsere verschlossenen Türen zurück, sondern wir werden die Erfahrungen, die wir gemacht haben, nutzen, um morgen und übermorgen Kirche zu sein, vielleicht etwas nüchterner und realistischer, aber genauso engagiert und fröhlich.
Reinhard Bürger