Weihnachten C, 24. 12. 2021

Der Himmel schien alles aufzubieten, was möglich ist: ein großes himmlisches Heer, eine unüberschaubare Zahl von Engeln, die Gott loben und einen riesigen Jubelgesang anstimmen. Das Publikum ist dagegen mehr als bescheiden. Das waren Menschen, zu denen man damals eher Abstand hielt: Hirten auf dem Felde, trotz harter Arbeit lebten sie wohl an der Armutsgrenze. Ihr Ruf war nicht besonders gut. Gefürchtet waren sie auch, weil sie wohl bei Auseinandersetzungen nicht zimperlich waren. Um das Ganze in unsere Verhältnisse zu setzen: da spielen die Berliner Philharmoniker für eine Gruppe Nichtsesshafter.

Dem Evangelisten Lukas war es aber wichtig, dass genau diese Hirten die ersten Zeugen der Menschwerdung Gottes waren. Mitten in ihren Arbeitsalltag hinein strahlt Gottes Licht, buchstäblich aus heiterem Himmel taucht der Himmel selbst auf. Das können sie nicht für sich behalten und werden das weitererzählen. Lukas fasst das so zusammen: alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten. Das passiert nicht so oft, dass Leute über die Worte der Hirten staunen.

All das ereignet sich in der tiefsten Provinz, in dem Riesenreich, dessen Kaiser sich selbst ‚Hirte der Völker‘ nennt. Die Denkmäler des Augustus durchziehen das ganze Reich. Niemand sollte daran zweifeln, dass der Größte war, eben der Hirte der Völker. Das war einer seiner Ehrentitel. Doch genau ihm bleibt das verwehrt, war die Hirten auf dem Feld erleben: die Menschwerdung Gottes.

Deshalb steckt in dieser Kindheitsgeschichte eine deutliche Botschaft an die Metropole Rom: dieser neugeborene Retter, der Messias – wie ihn die Engel nennen – er wird eine ganz neue Art von menschlichem Zusammenleben verkünden und leben. Er wird sich den Ausgegrenzten zuwenden. Er wird die von Menschen errichteten Mauer überwinden. Er wird Trauernde trösten, Enttäuschte ermutigen, Friedfertige seligpreisen, er wird seinen Jüngern die Füße waschen. Er ist sich für nichts zu schade. Er wird ein wirklicher Hirte sein, der sogar so weit geht, dass er sein Leben einsetzt und selbst das Schicksal der Schafe teilt. Über all dem steht seine Botschaft: Ihr wisst, dass die Herrscher die Völker unterdrücken und die Mächtigen ihr Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein (Mk 10,42).

Von all dem wissen die Hirten noch nichts. Aber was sie erleben, berührt sie. Der Himmel feiert die Geburt eines Babys, welches der Messias genannt wird – ein riesiger Gegensatz. Vielleicht spüren sie in der Begegnung mit dem Kind: es geht nicht nur um Härte, um Durchhalten. Was wirklich die Menschen bewegen kann ist, das ist die Verletzlichkeit und die Schutzbedürftigkeit eines Kindes. Der, der einmal selbst guter Hirte sein wird, ist auf zugleich angewiesen auf Menschen, die für ihn wie ein guter Hirte sind.

All das feiern wir „alle Jahre wieder“. Es ist eine Unterbrechung im Laufe der Zeit. Diese Zeiten sind nach wie vor bestimmt von Machtausübung in schamloser Form bis hin zur Diktatur: einen Hauch Nordkorea gibt es an vielen Orten dieser Erde. Und brutale Diktatoren wachsen immer wieder nach. Was sich aber ändern kann: wir können ein größeres Gefühl entwickeln dafür, dass wir Menschen alle verletzlich sind. Verletzlich bleiben wir ein Leben lang – an unserem Leib, aber viel mehr noch an unserer Seele. Verletzlichkeit wird das Leben Jesu prägen, von seiner Geburt bis zum Sterben am Kreuz. Er bleibt ein verletzlicher Mensch. Gerade dadurch hat er eine besondere Aufmerksamkeit für andere verletzliche Menschen. Von ihm können wir eine neue Behutsamkeit und neuen Respekt lernen. Nicht umsonst bemüht man sich an Weihnachten oft um einen achtsamen Umgang miteinander. Viele denken intensiver an Familie und Freunde, durch Telefonate, Briefe, Grüße in digitaler Form, durch Besuche. Wenn das viele Menschen versuchen durchzuhalten, dann könnte das größere Auswirkungen haben als viele politische Programme.

 

In diesem Sinn allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Reinhard Bürger