Predigt an Gründonnerstag 2024

1. Ein Mal im Jahr nennen wir die Messe anders: ABENDMAHL, und bis zum 2. Vatikanischen Konzil war es die einzige Messe überhaupt, die nicht am Morgen gefeiert wurde. Für das innere Verständnis des Gründonnerstags ist es zentral, dass diese Feier am ABEND ist. In einem alten Gebet heißt es: „Bleibe bei uns, Herr, am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt“.

Hoffentlich erleben wir zumindest hin und wieder einmal, wie kostbar für uns die Abendstunden sind – als Raum für Träume, für kreative Kräfte, für Stille; für ein sanftes Ausklingen des Tages. Wie notwendig ist dies für unseren „seelischen Grundwasserspiegel“. In einer Zeit omnipräsenter Medien, wo wir gewissermaßen permanent online existieren, droht das verloren zu gehen! Der Abend ist die Zeit, nach aller Leistung und Mühe, nach Erfolgen und Vergeblichkeiten, Bilanz zu ziehen! Was hat Bestand? Was ist Ernte/Frucht des Tages? Der Hl. Ignatius nennt diesen Blick am Abend „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“. Was für ein behutsamer, wertschätzender Umgang mit sich selbst – dem Licht und Schatten in uns

2. In jedem Abendmahl/jeder Eucharistie wird Ernte gehalten. Symbolisiert in Brot und Wein wird die „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, wie es beim Lobpreis zur Gabenbereitung heißt, auf den Altar gelegt. In einigen Kirchen legen vor Beginn die Mitfeiernden selbst eine Hostie in die Schale. Das macht sinnfällig: Ich schließe den Tag, die Woche ab und halte Gott meine Bilanz hin: Ein Stück Brot! Das klingt dürftig als Ertrag für das Viele, das wir oft leisten und bewältigen.

Doch vielleicht entspricht es genau dem, was wir manchmal empfinden: Wie sehr es „Stückwerk“ bleibt, was uns gelingt (wie es im Hohenlied der Liebe bei Paulus heißt): „Stückwerk unser Erkennen, Stückwerk unser Reden“. Was bleibt vom Tag, von einer Lebenszeit, wenn der Vorhang fällt und wir uns abschminken? Wie schlimm für uns, wenn wir empfinden, abgeschrieben zu werden/zu sein!? Wie bitter, wenn wir auf ein Bild, das andere von uns haben oder auf unsere Grenzen festgenagelt werden? Alles das hemmt uns, frei zu spielen, es nimmt uns jede Chance, uns zu verändern, uns zu wandeln.

3. Heute ist der Abend der Wandlung! Jesus halten wir in Brot und Wein den Ertrag unseres Lebens hin – und ER spricht über all das den Lobpreis. Er spricht über uns kein Urteil! Er präsentiert uns keine Rechnung für das Stückwerk unseres Lebens! Er nagelt uns nicht fest, sondern: „Er nimmt das Brot und sagt DANK – und Er gibt es uns zurück: Nehmt und esst, das ist mein Leib“! Ich identifiziere mich mit dir – so wie du bist, bin ich Teil von dir! Das ist Wandlung, kein Hokuspokus! – Und das macht uns Ver-wandlung möglich: Dass Gott selbst über unser Leben nicht urteilt, sondern es mit Lobpreis annimmt!

Und so bekommen wir unser Leben zurück, in der Kommunion. Wir bekommen nichts anderes zurück, als das, was wir gegeben haben – mit der Zusage: „Das ist mein Leib“. Du bist in mir und ich in dir! Das ist Kommunion. Wir sind nach der Messe keine anderen Menschen, schon gar nicht bessere Menschen. Wie viele denken so: Zweck des Glaubens wäre, dass wir „bessere Menschen werden“. Sondern: Wir sind zu uns gekommen, weil er mit uns, in uns ist.

Das alles soll kein frommer Spruch sein. Jesus hinterließ uns keinen Vortrag und keinen Knigge, sondern einzig den Auftrag: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Doch immer schon haben sich Christen damit schwergetan. In den evangelischen Kirchen wurde es zeitweise kaum mehr begangen, an die Stelle des Tisches trat die Kanzel. In die Kirchen, in denen man vorher selbstverständlich stand, wurden Bänke hineingestellt. Sie wurden zum Vorlesungssaal. Aber auch bei uns: Kaum mehr kommunizierte man. Manchmal nur weniger Male im Leben. Die alte Regel, man möge 1x im Jahr kommunizieren, wollte ein absolutes Mindestmaß sichern. Der Gründonnerstag wurde bis in die fünfziger Jahre hinein praktisch nicht gefeiert. Das Nahe wurde fern. Und ein wenig ist es so geblieben: Manchmal droht die Feier in Gerede und Belehrung unterzugehen. Doch heute Abend lasst es uns feiern: Gottes Kommunion mit uns.

5. Ein Gedanke darf allerdings am Schluss nicht verschwiegen werden. Der Gründonnerstag endet nicht als Fest, sondern in Nacht und Angst. Am Ende steht heute die Gefangennahme Jesu, der leergeräuberte Altar, der geplünderte Tabernakel. „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt“, heißt es mal bei Ernesto Cardenal! Vor dem dunklen Schlussbild wirkt das Abendmahl wie ein kurzes Aufleuchten von Sinn und Verklärung – mitten in der Nacht.

In dem beeindruckenden Film „Von Menschen Göttern“ über die 1996 durch Islamisten entführten und ermordeten Trappisten im Atlasgebirge in Algerien gibt es einen beeindruckenden „Gründonnerstagsmoment“. Die Brüder wissen, dass sie in der Falle sitzen und ahnen ihre kommende Verschleppung. Doch am Abend vorher sind sie noch einmal festlich beieinander. Einer legt eine Schallplatte auf, Tschaikowskijs Schwanensee, und sie teilen: Käse, Datteln, Wein. Gesprochen wird nichts. Es ist nur das liebevolle Miteinander, das spricht. Das bevorstehende Leid, die Trennung sind präsent im Hintergrund. Dennoch ist ein tiefer Frieden über diesem Moment. Man spürt: Diese Menschen sind in Ängsten, aber dennoch mit ihrem Leben und mit Gott im Frieden.

Vielleicht kennen Sie aus Ihrem Leben auch solche Momente: Abschiedsworte von geliebten Menschen, letzte Wochen oder Tage, die man vor einer Trennung lebt/erlebt. Bei allem Schmerz sind das manchmal ganz kostbare Momente. Oft begreifen wir das erst im Nachhinein. Es sind Schätze, die wir in unserem Inneren ein Leben lang bewahren.

Damit ahnen wir die ganze Spannweite des Gründonnerstages: Dieser Abend beantwortet uns keine unserer Fragen, nimmt uns keine Not, aber er schenkt uns, jedes Mal neu, dieses Aufleuchten am Abend, auf dass unser Lebensweg, mit dieser Nahrung und unter diesem Licht, auf Ihn hin wachsen kann. Das scheint nicht viel – und doch ist es alles.

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