Dieser Vers ist der Beginn des Invitatoriums, des Einladungsrufes, der in der Tagzeitenliturgie, auch bekannt als Stundengebet, vor dem ersten Gebet eines Tages gesprochen wird. Es ist ein wertvoller Satz, der auch am Beginn eines Tages von uns allen stehen darf.

Das allererste Wort dieses Verses ist zugleich Aus-Rede und An-Rede. Es ist Hinaus-Rede meines verschlossenen Ichs auf einen anderen hin. Ich ent-spanne mich, nehme Beziehung auf und stelle Kontakt her: „Herr …“

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde …“ beginnt der Schöpfungsbericht der Bibel. „Am Anfang war das Wort …“ beginnt Johannes sein Evangelium von Jesus Christus. Am Anfang steht Er, der Herr, als Angel-, Bezugs- und Zielpunkt des ganzen Tagesablaufs. Im Grunde reicht dieses eine Wort für den ganzen Tag. Es ist der Grund, auf dem ich bauen kann. In ihm ist alles enthalten. Alles Weitere kann nur noch Entfaltung dieses Einen sein.

„… öffne meine Lippen.“ Vielleicht ist das die Grundbitte für einen guten Tag: Worte können heilen, Worte können verletzten, Worte können gerecht sein, Worte können Ungerechtigkeit und Kriege auslösen.

Öffne mich, damit Gutes aus mir herauskommt, – damit das Gute, das doch auch in mir ist, nicht nur nicht gehemmt wird, sondern sich frei aus mir heraus in meine Umgebung entfaltet.

„Herr, öffne meine Lippen …“ – das ist ein gutes, grundlegendes Wort für jeden Tag: Herr, lass mich offen sein für deine Worte, für dein heilsames Wirken durch mich für diese Welt. Lass mich deine guten Worte sprechen – und ein Stück deines Reiches wird dort beginnen, wo ich gehört werde.

Die französische Mystikerin Madeleine Delbrêl hat nach diesem Vers gelebt und formulierte:

„Nirgendwo als in unserem Leben strömt, von morgens bis abends, zwischen den Ufern unserer Häuser, Straßen, Begegnungen, das Wort, in dem Gott wohnen will.

Nirgendwo als in unserem Geist, der uns durch unsere Arbeit, Mühsal, Freude, Liebe hindurch aufbaut, will Gottes Wort wohnen.

Der Schallraum, den das Wort des Herrn von uns fordert, ist das ‘Heute’: Die Umstände unseres Alltags und die Bedürfnisse unserer Nächsten, die täglichen Ereignisse und die Forderungen des Evangeliums verlangen von uns stets dieselben Antworten, aber in einer täglich erneuerten Gestalt. Der Schallraum Gottes, das sind wir.”