32. Sonntag im Jahreskreis C, 6. 11. 2022

Wer hätte das für möglich gehalten – der Papst in einem komplett muslimischen Land – in Bahrein und fordert die Anerkennung der Rechte der Frauen. Oder vor kurzem in Kasachstan bei einem Treffen der Religionsführer, wo er nicht mit einem Anspruch der Unfehlbarkeit auftritt, sondern einer unter mehreren ist. Da wo er selber agieren kann, überrascht er immer wieder, oft gegen seinen vatikanischen Apparat.

Oder wer hätte es für möglich gehalten, dass die Kirche in Deutschland daran geht, ihr Dienstrecht in Frage zu stellen. Homosexuelle Menschen in Partnerschaften sind inzwischen weitgehend akzeptiert, über diese Frage wird öffentlich gesprochen und das Dienstrecht wird in diesem Zusammenhang reformiert.

Es sind Beispiele dafür, dass ein Weltbild sich verändert, dass Festlegungen auf ein sehr enges Bild vom Menschen und von Religion sich weitet. Vertreter andrer Religionen werden zu Gesprächspartnern, andere Lebensstile werden schrittweise akzeptiert. Und die Welt geht dabei nicht unter. Sie wird bunter und reicher. Wie hoffnungsvoll sind die öffentlichen Kundgebungen im Iran, wo viele vor allem junge Menschen gegen die Diktatur der Mullahs auf die Straße gehen und für Freiheit und Menschenrechte sich einsetzen und dafür auch Folter und Strafe riskieren.

Aber da wo Menschen und Völker sich abkapseln, wo sie vor allem sich selbst sehen, erleben wir Spaltung und grausame Kriege. Und jeder Schritt, den Menschen aufeinander zugehen, ist ein Hoffnungszeichen, wie gerade erst letzte Woche in Äthiopien und der Provinz Tigrai. Manches ist zunächst erst noch ein kleines Zeichen und wir wissen noch nicht, wie es sich entwickelt.

Wir machen schließlich Erfahrungen mit unseren eigenen Grenzen, in denen wir uns bewegen. Unsere Grenzen geben uns auch Sicherheit, ich weiß, wohin ich gehöre. Aber Grenzen engen auch unser Sichtfeld ein. Diese Erfahrung machen die Gesprächspartner Jesu, die Sadduzäer, die nicht an die Auferstehung der Toten glauben konnten. Sie bewegen sich in ihren Gedanken nur in ihrem Alltag und argumentieren auf einem schlichten Stammtischniveau. Und Gott muss in ihr Schema reinpassen. Was nicht in ihre Welt hineinpasst, kann es nicht geben. Und so wie die Welt um sie herum ist, so muss dann auch die Welt Gottes sein. Und weil ihre Welt eng ist, ist auch Gott eng und kleinkariert.

Diese Enge bricht Jesus auf. Er argumentiert mit der Heiligen Schrift und mit der Geschichte, dass Gott so eng gar nicht sein kann, er legt sich vehement dafür ins Zeug, dass Gott vie weiter ist als die Menschen mit ihrer Engstirnigkeit. Die Liebe Gottes bemisst sich nicht an einer Heiratsurkunde und schaut auch über den Gartenzaun. „Die Liebe Gottes ist größer als unser Herz“, so heißt es im ersten Johannesbrief. Das ist keine Abwertung des Menschen, aber eine Freisetzung. Ich habe nun einmal einen bestimmten Blickwinkel auf mein Leben, das ist geprägt von meiner Umwelt, meiner Erziehung, meiner Herkunft, meinem Weltbild. Und das hat Grenzen: meine engen Grenzen, meine kurze Sicht…

Die Begegnung mit Jesus gibt den Menschen eine weite Sicht auf Gott und auf das ewige Leben: Den Sadduzäern, den Pharisäern, dem Zöllner Zachäus, dem Freund und Gefährten Petrus, den Blinden. Weitsicht statt Kurzsichtigkeit, Übersicht statt Kleinkrämerei, Tiefsicht statt Oberflächlichkeit. Gott ist immer weiter, tiefer und höher als wir Menschen denken können. Unsere Bilder, die wir von ihm machen sind begrenzt und orientieren sich an unseren eigenen Erfahrungen und auch Enttäuschungen. Wer von einem kirchlichen Amtsträger enttäuscht wurde, überträgt das schnell auch auf sein Bild von Gott. Aber Gott lässt sich nicht einengen. Papst Johannes Paul I. hat ein schönes Wort geprägt: „Gott ist Vater und mehr, viel mehr. Gott ist Mutter und mehr, viel mehr.“ Wo wir noch Tod und Vernichtung sehen, sieht Gott schon das unvergängliche Leben.

 

Wir ärgern uns mit Recht über so manches, was mit menschlichem Versagen zu tun hat und die Botschaft leidet darunter. Der Patriarch Kyrill in Moskau ist dafür ein gutes Beispiel. Seine Botschaft ist eine Botschaft der Enge und Engstirnigkeit, wenn er den Krieg Putins rechtfertigt. Es ist mit Sicherheit nicht die Botschaft Jesu. Das Evangelium wird ja nicht in einem luftleeren Raum verkündet, sondern immer in konkreten Zusammenhängen. Aber Evangelium ist immer viel weiter und umfassender als ein missglücktes Management, als menschliche Eitelkeiten oder Konkurrenzkampf unter den Beteiligten.

Eine Kirche, die sich mit sich selbst beschäftigt, deren Perspektive an der eigenen Gemeindegrenze schon endet, ist kein Hoffnungsträger. Wenn in unserem Pastoralen Raum die Sicht auf Kirche und Welt schon an der eigenen Gemeindegrenze endet, dann hat die Botschaft des Evangeliums keine Zukunft, dann ist sie viel zu eng und kleinkariert. Gemeinde und Kirche sollen dazu beitagen, dass den Menschen eine Sicht auf ihr Leben erschlossen wird, von dem sie sagen können: es lohnt sich, es ist Leben darin, der Gott, der dort verkündigt wird, ist tatsächlich kein Gott der Toten, sondern der Gott von lebendigen Menschen.

Reinhard Bürger