Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord,  trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

Geheimnis voll klingt dieses Lied zu uns herüber, wie aus einer anderen Welt, eine getragene, fast schwermütige Melodie, ganz einfache Wort, aber ganz tiefe Bilder.

„Es kommt ein Schiff geladen…“ Ich verbringe gerne Zeit in Köln oder irgendwo anders am Rhein. Auch von meinem traditionellen Urlaubsort am Bodensee ist man schnell an diesem geheimnisvollen Fluss, der als Rinnsal entspringt, dann wieder ganz verschwindet, in den Bodensee fließt und am anderen Ende dann zum großen Fluss wird.

Man steht da und beobachtet die großen Schubschiffe und Schleppkähne. Ächzend kommen sie gegen den Strom aus Rotterdam, Richtung Basel gefahren; oder sie fahren mit dem Strom zur Küste. Es ist nicht verwunderlich, daß das Lied in Köln am Rhein entstanden ist.

Den Rheinschiffen zuzusehen, spricht die menschliche Sehnsucht an – Heimweh oder Fernweh. Am breiten Fluss stehend, wird eine romantische Ecke unserer Seele angesprochen, Träume warten darauf, entschlüsselt zu werden.

Kommende und gehende Schiffe – ein beliebtes Motiv der Kunst, aber auch des Kitsch. Unzählige Schlager singen vom Schiffen, sie spielen in Piräus oder Surabaya. „Junge, komm bald wieder“ schreibt die Mutter dem Sohn auf  hoher See, „Steig in das Traumboot der Liebe“, lädt Catharina Valente ein.

Das Bild vom Schiff löst etwas in uns aus. Die Psychologie sagt, das Schiff sei Symbol des Reisens, des Unterwegsseins, des Übergangs – in der Antike sogar das Symbol des Übergangs vom Leben zum Tod – Charon, der Fährmann, holt die Seele in die Unterwelt.

Solche Dinge wird der Dichter unseres Liedes bedacht haben. Er arbeitet sehr gezielt mit dem Bild des Schiffes. Das Lied besingt ein großes Geheimnis. Und auch in diesem Lied geht es um einen Übergang. Der Autor benutzt das Bild vom Schiff, um die weihnachtliche Botschaft „rüberzubringen“: Gott kommt als Mensch in diese Welt.

Und das ist wahrhaft ein Geheimnis, dem wir uns nur immer neu annähern können: der große Gott kommt in die kleine Welt, der Erhabene kommt in unsere Trivialität. Ein Geheimnis, dem wir uns in dieser Stunde singend annähern.

Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last; Das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.

Große Ehrfurcht spricht aus diesen Worten: „Es trägt ein teure Last…“ Es ist eben nicht dieses abgeleierte, routinemäßige  „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind…“ Es geht nicht um Folklore, nicht um Idylle, nicht um friedvolle Weihnachten im Kreis der Familie. Das Lied hat Weihnachten noch nicht zur Ramschware gemacht, die keinen mehr tröstet.

Das Lied bewahrt das Geheimnis. Ich musste an Dietrich Bonhoeffer denken, der davor gewarnt hat: es gehe an Weihnachten nicht um „billige Gnade“, von der man meint, sie verschleudere sich einfach. Bonhoeffer weist mit dem Apostel Paulus darauf hin: „Ihr seid teuer erkauft!“ Deswegen biete die Weihnachtsgeschichte „die Menge der himmlischen Heerscharen“ auf, die Gott loben. Das passiere sicherlich nicht für „billige Gnade“, sagt Bonhoeffer. Weihnachten ist keine Allerweltsbotschaft. Engel singen, wenn ein menschlich nicht zu ergründendes Wunder geschehen ist: Gott, der Retter, wird Mensch! Poetisch ausgedrückt: „Es kommt ein Schiff geladen…es trägt ein teure Last.“

Die dritte Strophe beantwortet jetzt die Frage: Wo kommt es an, das Schiff?

Der Anker haft auf Erden, da ist das Schiff an Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

 „Auf Erden“ kommt es also an, das Schiff!

„Auf Erden“ – Die Weihnachtsgeschichte sagt ganz deutlich, was es mit dieser Erde auf sich hat: „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde…damals war Quirinius Statthalter in Syrien…“

„Auf Erden“ – Das heißt vor allem: ein paar wenige geldgierige und machthungrige Potentaten tun mit ihren Völkern, was sie wollen. Da hat sich bis heute an vielen Orten der Welt nichts geändert…

In einer ganz bestimmten Zeit haftet der Anker des Schiffes auf der Erde.

Ahnte Maria, die Mutter Jesu, etwas davon, als sie hochschwanger ihr visionäres Lied singt: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen; die Hungernden erfüllt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“?

Vergessen wir nie: Gott kommt nicht als religiöser Puderzucker in diese Welt, sondern um uns einzuladen, mit ihm seine Gerechtigkeit aufzurichten!

Zu Betlehem geboren im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren: Gelobet muss es sein.

Das Lied wird mit der vierten Strophe noch irdischer und noch konkreter. Es wird genau gesagt, wo die „teure Last“ geboren wird: im Dreck von Betlehem. Banaler kann man sich nicht ausmalen, wo Gottes Sohn zur Welt kommt: in einer Notunterkunft, in unhygienischen Verhältnissen, keine medizinische Versorgung. So müssen bis heute tausende von Menschen auf dieser Erde leben. Nur Spießbürgerlichkeit konnte aus diesem Bild des Elends ein süßliches Krippenidyll zaubern.

Was ist das für ein Gott, der sich dafür nicht zu schade ist?

„Gibt sich für uns verloren: Gelobet muss es sein.“

Gelobt für die Geburt in der dreckigen Höhle;

gelobt für die Armut;

Gelobt für das nichts, auf das er später seinen Kopf betten wird;

Gelobt für Ausgrenzung und Verachtung, für Verraten- und Verkauftwerden, für Schläge, Kreuz und Tod!

Weihnachten nimmt die Verlorenheit des Karfreitags vorweg. „…gibt sich für uns verloren: Gelobet musst es sein.“

Gibt es einen Weg, sich diesem Geheimnis zu nähern? Darauf geben die fünfte und sechste Strophe des Liedes Auskunft.

Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel,

 danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.

 „Du kannst dich dem Geheimnis, daß Gott Mensch wird, nähern!“, sagt das Lied. Man könne das Kind umfangen und küssen, sagt das Lied – d.h. die Distanz zwischen mir und dem Kind kann aufgehoben werden. Das Kind steht nicht im Schaufenster, wo ich es betrachte, sondern ich kann es in den Arm und in mein Herz nehmen.

Der Autor dieses Liedes ist ein Vertreter der Mystik, einer geistlichen Strömung, die im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatte. Man ist überzeugt davon, daß der Mensch sich mit dem göttlichen Geheimnis vereinen kann. Man spricht von der „Versenkung“ und die Gebete und Texte dieser Zeit muten teilweise fast erotisch an.

Aber nach der Zärtlichkeit des Küssens stimmt das Lied dann herbere Töne an: „…muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel.“ „Ja, du kannst dich diesem Kind nähern, es umarmen, aber du musst wissen, wem du da nahe kommst: es ist der, der sich für dich „verloren“ gibt, der Mensch zwischen Krippe und Kreuz.“, sagt das Lied. Nähe zu diesem Kind schließt also das mit ein, was der erwachsene Jesus so formulieren wird: „Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt…um meinetwillen.“

Maria, Gottes Mutter, gelobet musst du sein.  Jesus ist unser Bruder, das liebe Kindelein.

Mit der letzten Strophe mündet das Lied in ein Marienlob.

Maria ist der Prototyp eines Christenmenschen. An ihr zeigt sich exemplarisch, wie man in der Christusnachfolge leben soll: ganz Herz und Ohr für Gottes Ruf und Willen. Wo wir das sind, da bringen wir Jesus immer aufs Neue in diese Welt – so wie Maria!

„Es kommt ein Schiff geladen…es trägt ein teure Last.“

Was für eine frohe Botschaft. Leg an, Schiff, auch am Ufer meines Lebens.

AMEN.