Ich habe nach einem Gottesdienst mit einer Gruppe der Frauengemeinschaft in einer ungeheizten Kirche die Teilnehmerinnen verabschiedet mit der Einladung zum Frühstück: „Wir leben in Spannungen: kalte Kirche – heißer Kaffee“. Was hier noch zum Lachen angeregt hat, ist doch eine ganz normale Alltagserfahrung. Wir leben in Spannungen, und das müssen wir aushalten: alt – jung; gefühlsbetont – vernunftgesteuert; fleißig – faul; männlich – weiblich; links – rechts…
Spannungen sind oft anstrengend, wenn in einer Familie oder einer Gemeinde Meinungen aufeinanderstoßen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Spannungen können zum Zerbrechen einer Gemeinschaft führen und Menschen auseinanderbringen. Spannungen zwischen Völkern können in den Krieg führen.
Aber Spannungen können auch hilfreich sein. Ein spannendes Buch oder ein Film, eine spannende Reise, Eltern, die den Kindern eine spannende Geschichte erzählen, spannende Nachrichten. Ohne Spannung fließt kein Strom. Die beiden Autos auf dem Foto bringen es auf den Punkt: beide haben ihren Reiz. Sie dürfen nebeneinander stehen.
Auch das Evangelium ist spannend: die Botschaft Jesu und der Glaube der Pharisäer; die Apostel untereinander kommen nicht ohne Spannung aus; auch die spätere Entwicklung der Kirche kommt nicht ohne Spannung aus: sie führt zur Spaltung, aber auch zu einer Vielfalt. Auch Jesus spricht davon: „Ich bin gekommen, um zu entzweien“ (Mt 10, 35).
Spannungen sind anstrengend und oft nervenaufreibend. Aber sie bilden das wirkliche Leben ab. Nicht jede Spannung kann aufgelöst werden. Aber so manches darf auch nebeneinander stehenbleiben und muss sich nicht ausschließen. Das habe ich neulich in einer Tiefgarage gelernt.
Reinhard Bürger