Was ist das doch für ein brutaler Gott. Da schließen sich Menschen zusammen, um einen herrlichen Turm zu bauen, einen der an die Wolken kratzt, der bis zum Himmel reicht. Die Menschen verstehen sich untereinander und sprechen eine Sprache – beste Voraussetzungen also dafür, dass das Vorhaben gelingen kann. Was ist daran so schlimm? Was ist das plötzlich für ein jähzorniger Gott, der dazwischenfährt? Hat er Angst; dass ihm die
Menschen zu nahe kommen? Dieser eifersüchtige Gott ist also der Urheber dafür, dass die Menschen in Streit geraten und sich über die ganze Welt zerstreuen und die Gemeinschaft
miteinander verlieren. Gott als Urheber des ganzen Schlamassels, den Menschen erleben!!! Was ist das für ein Bild von Gott?

Heute wissen wir, dass die Menschen vor Jahrtausenden so gesprochen haben, um sich bestimmte Ereignisse zu erklären. Sie machten die Erfahrung, dass auf der Welt ganz verschiedene Sprachen gesprochen wurden und sagten: Gott hat das so gemacht. Sie machten die Erfahrung, dass es Tag und Nacht gibt und sagten: Gott hat das so gemacht. Sie erlebten, dass Menschen aufeinander neidisch und eifersüchtig waren und sagten: da
steckt Gott dahinter. Menschen habe immer Erklärungen für das gesucht, was sie gesehen und erfahren haben.

Nicht anders ist das heute: die Menschen fragen danach: „Woher kommt Corona?“ Und da ist man ganz schnell bei zwei ganz einfachen Lösungen: die einen finden ganz schnell einen Schuldigen, einen Sündenbock und wissen genau: Das waren die Chinesen! Die haben sich verschworen. Die wollen die Weltherrschaft und wollen die anderen Kulturen vernichten. Andere vermuten den allmächtigen Gott als den Urheber und sehen in der Corona-Pandemie eine Strafe Gottes für die sündige Welt. Das Weltbild und das Menschenbild unserer Tage werden als gottlos dargestellt und die Pandemie ist dann die Rache Gottes dafür. Gott müsse dafür gnädig gestimmt werden und das Einzige, was man gegen die Pandemie tun könne, Gott zu bestürmen, er möge von seinem Tun ablassen.

Da ist es sehr wohltuend, dass wir heute Pfingsten feiern können, denn die Botschaft von Pfingsten setzt dazu einen Gegenpol. Die vielen verschiedenen Sprachen, die in der Apostelgeschichte vorkommen, und die bunte Herkunft der Menschen in Jerusalem wird nicht als bedrohend und ausgrenzend erfahren, sondern als eine Möglichkeit, Grenzen zu überwinden. Das Wunder von Pfingsten ist nur richtig zu verstehen, wenn im Hintergrund die Erzählung vom Turm zu Babel präsent ist. Das Pfingstwunder heilt gewissermaßen das Chaos von Babel. Und die Beteiligten von Jerusalem werden zu Trägern einer neuen Botschaft. Sie wachsen über sich hinaus und verlieren die Scheu vor den Menschen. Sie schämen sich nicht mehr für ihre mangelnde Sprachkenntnis und treten in Kommunikation mit den Menschen. Und die Fremden aus aller Herren Länder werden ihnen plötzlich vertraut. Sie werden stark, mutig und kommunikativ – und das ist Gottes Geist – so empfinden sie es. Die Angsthasen von einst werden mutig, flammend vor Begeisterung, sie brennen inzwischen für eine Botschaft, sie werden stürmisch, kein laues Lüftchen.

Wenn wir im Blick auf die lange Geschichte unseres Glaubens unsere heutige Situation verstehen wollen, wird klar, dass die Zeit vorbei ist, wo man für alles Sündenböcke suchen muss. Und man braucht Corona auch nicht Gott in die Schule schieben und ihn zu besänftigen suchen. Was wir heute brauchen, ist ein nüchterner Blick auf die Erkenntnisse der Wissenschaften und der Medizin. Wir brauchen ein politisch kluges Aushandeln der verschiedenen Positionen, weil kaum immer eindeutige Lösungen vorhanden sind. Und wir brauchen diesen Pfingstgeist, der nicht dunkle Mächte in der Welt am Werk sieht, sondern der bei allen Bedrohungen und Widerständen die Menschen stark und hoffnungsvoll macht.