Wir feiern Ostern im Jahr 2022 und wir erleben eine sich rasant verändernde Gesellschaft. Wir leben in einer Zeit sich auflösender Gewissheiten und Sicherheiten. Sozialstrukturen definieren sich neu, kulturelle Vielfalt ersetzt nationale Identität, Mobilität ist wichtiger als Verwurzelung und die digitale Wirklichkeit hat eine Geschwindigkeit, die nicht wenige von uns wie in einem Kettenkarussel zum Opfer der Fliehkraft macht. Wir verlieren den Kontakt. Das alles – verschärft durch den Krieg in der Ukraine – löst Ängste aus, und Populisten und Verschwörungstheoretiker finden darin ihren Nährboden.

Diese Zeit der Veränderungen ist nicht nur bedrohlich. Sie bietet auch viele Chancen. Ein Mehr an Individualität, den Wandel gestalten durch die Möglichkeit der eigenen Wandelbarkeit, internationaler Austausch, mehr Gleichberechtigung und Beziehungen ohne Zwang. Hinzu kommt ein Quantensprung von dem, was wir über das Leben auf der Erde und im All wissen. All das ist wie eine ständige Eroberung neuen Landes.

Genau in diese Zeit hinein sind wir aufgerufen Kirche, Gemeinde Jesu zu sein – ebenfalls in einem Prozess der Veränderung, der Wandlung begriffen. Wenn ich auf Jesus von Nazareth schaue, glaube ich nicht, dass er auf Kirchengemeinden im Sinne von Gruppen verwaltenden Glaubens Wert gelegt hat. Im festen Vertrauen auf das Hereinbrechen des Reiches Gottes war es dem Wanderprediger aus Galiläa wichtiger, die Herzen der Gläubigen zu bilden und sie an der Wirklichkeit Gottes auszurichten. Darum darf sich Kirche, Gemeinde nicht statisch verstehen, versorgend und bewahrend, sondern mehr im Sinne Jesu als eine Gemeinschaft im Unterwegs. Gemeinde macht für mich Sinn, wenn dort Menschen zusammenkommen, sich austauschen, aufeinander hören, Fragen stellen und miteinander Wege gehen. Aber das alles nicht zum Selbstzweck! Es darf nicht darum gehen, an einem Ufer, an dem Menschen ertrinken, ein nettes Clubhaus zu führen, sondern Rettungsschwimmer fit zu machen, um im Meer des Lebens Ertrinkende zu retten.

Durch das Leben in unseren Gemeinden sollen wir fit gemacht werden, um als Kundschafter des Glaubens selber im Leben zu bestehen, damit wir anderen Menschen als Christen begegnen, von ihnen lernen, aber auch etwas von dem mitzuteilen, was uns als Christen wichtig geworden ist. Und diese Erfahrungen müssen wir in unsere Gemeinden zurückbringen, reflektieren und spiegeln und dort selber wieder auftanken. Ohne das verkümmert christliche Gemeinde zu einem im eigenen Sud köchelnden Konzentrat.

Das Haus, das sich Gemeinde nennt, verändert sich, und das ist gut so. Ostern ist ja schließlich auch ein Fest der Veränderung: vom Tod zum Leben. Wir haben ein gutes, segensreiches Fundament. Ich wünsche uns allen viel Neugierde und Mut.

Manfred Wacker