Karfreitag C, 15. April 2022

Im letzten Jahr war es die Pandemie, die uns mehr noch als jetzt in Atem gehalten hat, weil viele Menschen daran starben oder ernstlich erkrankten, jetzt ist es der unsägliche Krieg in der Ukraine, der unsere Aufmerksamkeit fordert und der vielen große Angst macht. Zu viele Menschen sind schon gestorben und es ist abzusehen, dass noch viel mehr sterben werden. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Dabei hatten wir das Sterben doch weithin aus unserem Alltag ausgeklammert. Sterben gehört in die Krankenhäuser oder die Hospize. Die Medizin arbeitet daran, dass unser Leben um jeden Preis verlängert wird. Sterben ist auch für viele ein unangenehmes Thema, viele Menschen verdrängen die Tatsache, dass sie einmal sterben müssen. Ich erinnere mich gut an die kirchliche Trauung eines Freundes, dem es beim Trauversprechen unerträglich war zu sagen, ‚bis der Tod uns scheidet.‘ Wie kann man bei einem so fröhlichen Fest ans Sterben denken?

Doch in unseren Gottesdiensten ist davon immer wieder die Rede. In jeder Eucharistiefeier sprechen wir: ‚Deinen Tod, o Herr, verkünden wir…‘ Es ist aber die einer gängigen Formel geworden, deren Brisanz wir kaum noch wahrhaben. Aber selbst in den fröhlichsten Gottesdienstfeiern verzichten wir nicht auf diesen Satz. Damit wird deutlich, dass das Sterben und der Tod Jesu eine fundamentale Voraussetzung dafür ist, dass wir auch wieder Halleluja singen können. Grausame Folter und qualvolles Sterben – wie wir es in diesen Tagen in allen Medien wieder miterleben – ist eine Wirklichkeit, der wir kaum ausweichen können. Aber ist das nicht ein brutaler Gott, der seinen Sohn in den Tod schickt? Ist das nicht ein brutaler Gott, der uns die Krebserkrankung und die todbringenden Bomben in die Hand gibt? Wer sonach Gott fragt, muss letztlich verzweifeln. Und dieses Bild von Gott hat auch viele Menschen in die Verzweiflung getrieben. Gott, der seinen Sohn an den Galgen schickt – ich kanns mir nicht vorstellen.

Viel glaubwürdiger sind für mich die Menschen, die sagen können, dass ihnen der Glaube an Gott Kraft und Halt latHagibt. Die Menschen, die sagen ‚ich weiß, dass ich eine schwere Operation vor mir habe, ich weiß, dass ich eine lebensbedrohende Krankheit habe. Aber der Glaube an Gott ist es, der mir die Kraft gibt, auf diese schweren Tage zuzugehen‘. Oder in andren Zusammenhängen: ‚Der Glaube an Gott ist es, der mir mitten im Bombenhagel den Mut gibt, mich um Verletzte zu kümmern.‘

Diese Erfahrungen werfen auch ein anderes Bild auf Gott: nämlich auf den Gott, der solidarisch ist mit den Menschen, der die Freiheit des Menschen nicht beschneidet und die Naturgesetzte nicht außer Kraft setzt, sondern der in diesen täglichen Kämpfen den Menschen die Kraft zu einem aufrechten Gang gibt.

Am Karfreitag fällt unser Blick auf einen Menschen, der bis in letzter Konsequenz zu seinem Lebensprojekt stand, der keine faulen Kompromisse für sich duldete, der unbedingt loyal war zu seiner Sendung. Obwohl er wusste, wie lebensgefährlich das war. Ein Mensch, der ganz bei sich und seiner Sendung war, und deshalb ganz bei Gott war. Und der noch im Sterben sagen konnte: ‚Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.‘

Von diesem Geist inspiriert handeln auch heute Menschen: die junge Frau in einem russischen Fernsehstudio, die mit einem provokanten Plakat für den Frieden durchs Bild läuft und damit schwere Strafe riskiert. Sie steht für viele, die in aller Bedrohung den Mut zu einem aufrechten Handeln finden. Und viele von diesen Menschen bekommen ihre Kraft aus der inneren Verbindung mit diesem Gekreuzigten von Golgotha.

Reinhard Bürger