Predigt 3. Fastensonntag C 2022

Liebe Schwestern und Brüder,

I.

wo immer auf der Welt Soldaten ausgebildet werden, lernen sie zuerst zwei Dinge: das „Gleichschritt marsch!“ und den militärischen Gruß – zackig die Fingerspitzen der rechten Hand an die rechte Schläfe gelegt. So erweisen Soldaten einander die Referenz. Wohl wenige wissen, woher diese Art zu grüßen kommt: sie geht auf die Zeit der Ritter zurück. Wenn sich zwei Ritter begegneten, eingepackt in ihre starren eisernen Rüstungen, dann klappten sie das Visier hoch, um einander das Gesicht zu zeigen.

Dieser militärische Gruß ist eine letzte Erinnerung daran, daß hinter allem Befehlen und Gehorchen Menschen stehen. Wer sein Visier aufmacht, gibt sich zu erkennen, teilt etwas von sich mit, macht sich sogar verletzlich. Das ist immer riskant. Aber anders, als daß man „sein Visier aufmacht“, kann es keine wirkliche menschliche Begegnung geben. Das war nicht nur bei den Rittern so. Auch wir begegnen und verstehen uns nicht, wenn wir nicht das Visier öffnen, wenn wir uns nicht auftun füreinander.

II.

Eine der aufregendsten Geschichten der Bibel erzählt davon, daß haargenau das Gleiche auch zwischen Gott und Mensch gilt. Einmal hat Gott auf so unvergessliche Weise sein Visier aufgetan, dass diese Szene zur Mitte des biblischen Glaubens geworden ist:

Mose weidet die Schafe seines Schwiegervaters. Und mitten in dieser Arbeit gibt Gott sich ihm zu erfahren und er lüftet sein Visier. Natürlich ist das ein ganz und gar innerliches Geschehen im Menschen Mose – darum können wir es nur in Bildern ausdrücken. Und dieses Bild ist der Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.

Das Sinnbild des brennenden und doch nicht ver-brennenden Dornbuschs sagt etwas Doppeltes.

Es sagt uns zum einen, wie Gott ist und es sagt uns zum andern, wie der Mensch sich fühlt, wenn er Gott begegnet:

Er fühlt sich wie ein nutzloser Dornstrauch, der zu nichts taugt, außer dazu, umgehauen zu werden. So unvollkommen, so überflüssig fühlt sich der Mensch, daß ihn dieses Gefühl aufzehren will, wie loderndes Feuer!

Aber genau das passiert nicht! Auch vor Gott wird der Mensch nicht nichts! Die brennende Erkenntnis, wie es um ihn und sein Menschsein vor Gott steht, verbrennt den Menschen nicht. Und das hat damit zu tun, wie Gott von seinem Wesen her ist: Gott ist zwar eine Macht, der nichts Einhalt gebieten kann – aber zugleich auch eine Macht, die nicht Zerstörung braucht, um selbst zu bestehen! Gott ist eine Macht, wie sie unter Menschen nicht vorkommt. Gott will, daß alles etwas ist und durch ihn lebt! Das ist sein Geheimnis!

Mose, und wir mit ihm, können das nicht durchschauen, wir können nur staunen – darum der Abstand, den Mose zum Dornbusch einhält. Darum das Ablegen der Schuhe: Mose erkennt, daß er sich vor dem Dornbusch auf heiligem Boden befindet, d.h. auf dem letzten Fundament seines Daseins.

Der Gott, der sich als solcher zu erkennen gibt, teilt Mose in dieser Begegnung etwas mit: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es aus der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land heraufzuführen in ein schönes, weites Land.“

Nicht irgendetwas sagt Gott über sich – er macht sein Visier vollständig auf und teilt Mose sein tiefstes Geheimnis mit. Gott sagt: Ja, ich bin Macht, aber eine, die nicht niederdrückt, sondern leben lässt und Befreiung schafft!
Daraus, wie Gott ist, wächst Mose die Berufung zu, sein Volk in die Freiheit zu führen. Im Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten, hinein ins gelobte Land, teilt Gott sich selbst mit.

III.

Mose zweifelt daran nicht. Er versteht. Aber er weiß nicht, wie er das, was ihm da im Innersten aufging, seinen Leuten verständlich machen soll. Die Israeliten werden ja als erstes die Frage stellen, was das denn für ein Gott ist, der ihnen zur Flucht aus Ägypten verhelfen soll…

Darum gibt Gott dem Mose seinen Namen mit: „Ich bin der ich bin…Sag, der Ich-bin hat mich zu euch gesandt.“

Für uns Katholiken ist diese Selbstbenennung Gottes zum Symbol der bleibenden Gegenwart Gottes in der Eucharistie geworden. Viele Tabernakel, in denen wir die Eucharistie aufbewahren, sind mit einem brennenden Dornbusch geschmückt.

Und Jüdinnen und Juden begegnen bis heute dieser Selbstpreisgabe Gottes „Ich bin der ich bin“ mit höchster Ehrfurcht und sprechen es nicht einmal aus, sondern verschlüsseln es, so daß das Wort „Adonai“ dabei herauskommt. „Adonai“ – so rufen Jüdinnen und Juden ihren Gott.

Seinen tiefsten Kern hat all das darin, daß man den Gottesnamen aus dem Dornbusch gar nicht richtig übersetzen kann. Unsere neue Einheitsübersetzung übersetzt auch neu nicht mehr „Ich bin der ich bin da“, sondern eben nur noch „Ich bin der ich bin.“

Wenn wir den Namen aus dem Hebräischen wörtlich übersetzen, dann steht da nur ein Halbsatz, der lautet: „Er erweist sich als…“, Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen. Ein Halbsatz, der noch vervollständigt werden muss, immer wieder neu, in jeder geschichtlichen Situation, in der er ausgesprochen wird. Und die erste Ergänzung, die er von Mose bekommt: „Er erweist sich als…Befreier!“ – im Auszug aus Ägypten, den er dem Mose aufträgt. Mit der Geschichte vom Anfang dieses befreienden Auszugs, mit der Erzählung vom ersten Passahmahl, werden wir am Gründonnerstag die heiligen drei Tage eröffnen. In der Osternacht hören wir dann den Abschluss dieser Befreiung: den Zug durch das Rote Meer.

IV.

Aber damit ist der Name Gottes nicht ausgeschöpft. Wie gesagt, der kleine Halbsatz „Er erweist sich als…“ will immer neu vervollständigt werden. „Das ist mein Name für immer…“, sagt die Stimme aus dem Dornbusch. Gottes Name macht sein Wesen aus. Und das Wesen Gottes ist: Macht, die Freiheit schafft und leben lässt, gerade das kleine und zerbrechliche Leben, das wir das unsere nennen. Gottes Wesen ist das offene Visier! Er sieht uns an und kennt uns. Er will Beziehung zu uns. Gottes Wesen ist: Er hat ein Herz für uns!

In einer alten rabbinischen Predigt zur heutigen Lesung lässt der Prediger Gott Adonai sagen: „Der Heilige, gelobt sei er, sprach zu Mose: Fühlst du denn nicht, daß ich mich in Schmerzen befinde, genau, wie Israel sich in Schmerzen befindet? Merke es an dem Ort, aus dem heraus ich mit dir rede: aus den Dornen!“

Gott ist uns – und wir sind ihm – nicht fremd. Nirgends, auch in den Dornen nicht, nicht in unserem Gefühl von Traurigkeit, Ohnmacht, Angst und Wut oder was sonst alles über unserem Leben liegen mag. Er ist uns selbst dann nicht fremd, wenn wir uns selbst einmal genommen werden.

So leuchtet schon im brennenden Dornbusch die Sonne des Ostermorgens auf, auf die wir uns in diesen Wochen vorbereiten…

AMEN.