27. Sonntag im Jahreskreis A, 8. 10. 2023

So mancher verbringt in diesen Tagen den Herbsturlaub an Saar und Mosel oder in den Weingegenden Frankreichs oder Italiens. Der Herbst, die Zeit der Weinlese, die Zeit für Federweißen oder den Primeur. Toscana, Burgund, Champagne, Beaujolais, das Unstruttal und die Mosel, Napa-Valley, das klingt nach Lebensfülle, nach Überfluss, nach Freude. Tagsüber Radfahren oder Wandern, abends ein gutes Gläschen Wein – das ist für viele Lebensgenuss pur.

Auch die Weltgegend, in der unser Heilsgeschehen lokalisiert ist, ist eine Weingegend. Die beiden Kundschafter, die nach dem vierzigjährigen Wüstenzug zur Erkundung des Landes ausgeschickt werden, kommen mit einer großen Weinrebe zurück. Palästina – auch heute ein Land, wo guter Wein wächst. Und immer ist der Wein ein Symbol gewesen für gelingendes Leben, für Lebensfülle, für alles Gute, was von Gott kommt. Und letztlich ist der Wein bis heute in der Eucharistie ein Zeichen für die Gegenwart Gottes unter uns.

In aller dichterischen Freiheit wird in den beiden Texten der heutigen Verkündigung das Volk Gottes mit einem Weinberg verglichen. In einem Fall gilt das für das Volk des alten, des ersten Bundes, ebenso im zweiten Fall. Die Wahrheit, die darin angesprochen wird, gilt aber genauso für uns Heutige, das Volk, das sich aktuell auf Gott beruft. Die Autoren beschreiben darin, wie das menschliche Leben pervertiert wird. Statt Lebensfülle kriminelles Tun, statt Gerechtigkeit für alle Menschen die Verzweiflung derjenigen, die zu kurz kommen. Anstatt schmackhafte und gute Früchte zu ernten, machen sich Gier und Geiz, Mord und Totschlag breit. Der Evangelientext bezieht sich sogar unmissverständlich auf Jesus selbst, den Sohn, der schließlich auch missachtet und getötet wird.

Wohl die meisten von uns träumen von einem heilen Leben. Von Gerechtigkeit unter den Menschen, von einem fairen und offenen Umgang miteinander in den Familien und Freundeskreisen. Von Lebenschancen für alle Menschen und davon, dass Gewalttäter, Ausbeuter, Bürokraten und Lebensverbieter gestoppt werden. Wir träumen von einem Leben wie von einem blühenden Garten (Johannes XXIII.) oder eben wie von einem üppigen Weinberg. Der Prophet Jesaja, der diesen ganzen Schlamassel sieht, ist hilflos, er kann nur mahnen und versuchen, den Menschen die Augen zu öffnen. Aber wie hilflos fühlt man sich, wenn seine eigene Ohnmacht spürt gegenüber allem Unrecht und nicht weiß, wo man anfangen soll. Oder wenn man spürt, dass all unser Engagement für eine heile Welt doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Man hat oft, der Eindruck, dass das Böse immer stärker ist und dass der Gerissene und Durchtriebene der Gewinner ist. Das erzeugt Lähmung und Frust. Lohnt es sich überhaupt, sich für irgendwas einzusetzen? Ich kann gut verstehen, wenn Menschen, die sich für eine gerechte Welt einsetzen, irgendwann das Handtuch werfen oder in die innere Emigration gehen. Hat nicht die Ungerechtigkeit doch das letzte Wort?

Hier widerspricht der Evangelist. Er scheint dieses Gefühl zu kennen, dass alles sinnlos ist, was man versucht. Aber er warnt davor aufzugeben. Er zitiert die Schrift mit einem Bild von dem Stein, der zunächst verworfen wurde, aber dann zum Eckstein geworden ist. Auch das auf Jesus Christus zu beziehen. Er, der gerechte, der verworfen, gekreuzigt wurde, ist dann doch zum tragenden Stein geworden. Oder anders: der Weinberg wird letztlich doch an Leute gegeben, die gute Früchte abliefern. dahinter steckt die Erfahrung der Auferstehung Jesu: der Tod hat nicht das letzte Wort behalten. Und es gibt immer wieder Menschen, die guten Willens sind und sich auch von Gewalt und Unrecht nicht bange machen lassen. Der diesjährige Friedensnobelpreis wird vergeben an eine iranische Frau Narges Mohammadi, die trotz Verurteilung und Gefängnis und Folter den aufrechten Gang nicht verloren hat und ein Vorbild ist für viele, die sich für die legitimen Rechte von Frauen weltweit einsetzen. Solche Menschen laufen in der Spur Jesu – egal welcher Religion sie angehören.

Kann man sich für eine heile Welt engagieren, ohne an diese Verwandlung zu glauben? Führt ein Einsatz ohne diese Hoffnung nicht in eine Sackgasse. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie man sich dauerhaft mit Hoffnung versorgen kann, ohne Glauben an Gott, oder Jahwe oder Allah, der letztlich diese Welt richtet und neu ausrichtet. Nur so wird aus der Perversion der Welt eine Welt, die das Reich Gottes erahnen lässt.