Wer kennt dieses Zitat nicht, das am 28. Sonntag im Jahreskreis B mit dem Erscheinen dieser Ausgabe der Gemeindenachrichten auf uns wartet: „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Mk 10,25). Aber wie arm muss ich denn sein, um in das Reich Gottes zu gelangen? Selbst die Jünger, die vieles hinter sich gelassen hatten und Jesus nachfolgten, empörten sich über diese Aussage Jesu und fragten sich, wer denn dann noch in das Reich Gottes kommen könne.
Da war dieser Mann, der an den Geboten Gottes festhielt, der mit aufrichtigem Herzen fast alles tat und nur nicht den letzten Schritt wagte, ALLES hinter sich zu lassen und Jesus nachzufolgen. Dieser Mann könnte ein jeder von uns sein. Auch wir stehen doch in dieser Welt, wollen dem Wort Gottes folgen, hören auf seine Gebote, versuchen unser Möglichstes, diese Welt zu verbessern, können aber auch nicht ganz auf das eigene Zuhause, die Familie oder eine gewisse finanzielle Sicherheit verzichten. Ist für uns alle der Himmel verschlossen?
Nein! Dieses Evangelium ist raffiniert geschrieben, und den meisten fällt nicht auf, dass Jesus das Thema wechselt.
Am Anfang fragt der reiche Mann danach, wie er das Ewige Leben erlangen kann. Jesus antwortet ihm: „Du kennst doch die Gebote“ und es folgt eine lose Aufzählung von Geboten aus dem Dekalog. Der Mann erwidert: „All diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt“ (Mk 10,20).
An dieser Stelle könnte das Evangelium nun enden. Der Mann hat eine Frage gestellt, Jesus gibt die Antwort; der Mann sieht, dass er alles getan hat und somit das ewige Leben auf ihn wartet.
Dementsprechend kann ich alle Menschen mit Besitz beruhigen: Der Himmel ist auch für uns nicht geschlossen.
Die Wendung, die das Evangelium nun nimmt, hat mit der Frage des Ewigen Lebens nichts mehr zu tun. Jesus schaute sich diesen Mann an und gewann ihn liebt. Jesus sieht die Situation dieses Mannes: Da ist einer, der hält sich sein ganzes Leben an die Gesetze. Er arbeitet und versucht, allen Anforderungen und Ansprüchen gerecht zu werden. Den Ansprüchen Gottes und wahrscheinlich auch den Ansprüchen der Familie und der Gesellschaft. Und: Er scheint zu zweifeln. Irgendetwas in ihm lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Er geht zu Jesus, und selbst die Antwort Jesu lässt ihn nicht freudig gehen nach dem Motto: „Ok, ich habe alles richtig gemacht.“ Er bleibt anscheinend noch bei Jesus und hofft auf einen weiteren Hinweis. Irgendetwas scheint den Mann zu bewegen.
Und mit dem Blick der Zuneigung erkennt Jesus, dass das Leben des Reichen mit der Erfüllung der Gebote noch nicht ausgefüllt ist. Jesus bietet dem Reichen nun eine neue Lebensmöglichkeit an, die ihn vielleicht ganz ausfüllen würde. Es geht nun nicht mehr um das Ewige Leben, sondern um den Eintritt in das Reich Gottes, das schon auf Erden beginnt. Es geht nun nicht mehr nur darum, böse Dinge nicht mehr zu tun, sondern nun aktiv einen neuen Weg einzuschlagen.
Auch wenn diese Textstelle davon berichtet, dass der Mann betrübt weggeht, so wird er vielleicht nun über manche Sachen neu nachdenken: Was bindet mich auf dieser Erde? Was hindert mich daran, endlich Erfüllung zu finden? Anscheinend hindert ihn sein Besitz an der Erfüllung und Nachfolge, aber loslassen kann er ihn auch nicht.
Seinen Besitz zu verkaufen ist somit keine Bedingung für das Ewige Leben. Jesus möchte dem Reichen nur sagen, dass der Verkauf seines Besitzes für ihn keinen wirklichen Verlust darstellen würde.