14. Sonntag im Jk. A
Die Worte der alttestamentlichen Lesung sind dem Propheten Sacharja entnommen. Dieser Prophet stammt aus einer Priesterfamilie und wirkt im ehemaligen Königreich Juda nach dem Ende des Babylonischen Exils und der Rückkehr Israels, um 520 nach Christus. Das Volk steht immer noch unter dem Schock des traumatischen Erlebnisses der Zerstörung Jerusalems inklusive des Tempels und der Deportation. Andere Mächte haben sich als militärisch stärker erwiesen und haben gesiegt. Das Volk Israel ist schwach und hilflos. Und auch die lang ersehnte Rückkehr wird nur möglich, weil das siegreiche Babylon von den noch mächtigeren Persern besiegt wird. Es ist offensichtlich: Militärische Stärke entscheidet über Wohl und Wehe der Menschen. Die Rückkehrer erleben es am eigenen Leib. Sie kehren zurück in ein zerstörtes Land und unterstehen politisch weiterhin den Persern.
In diese Situation hinein spricht der Prophet Sacharja seine Verheißung von einem demütigen, auf einem Esel reitenden König. Und er erwartet von diesem König, der in seinem Auftreten schwach und hilflos wirkt, dass er die militärisch Mächtigen besiegen und eine Friedensherrschaft aufrichten wird – bis ans Ende der Erde.
Da kann man doch – salopp gesagt – den Propheten fragen: Was hast du denn geraucht? Was hat dir denn den Sinn für die Realität vernebelt? Dem friedlich auf einem Esel Reitenden wird übel mitgespielt werden, deshalb : Bitte nicht auf den Esel setzen!
Nicht nur die Zeitgenossen des Sacharja haben vielleicht so gedacht, sondern auch die späteren Generationen. Sie erlebten die Fremdherrschaft unter Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern, die nur durch militärischen Widerstand abgeschüttelt werden konnte – um dann später wieder unter die Fremdherrschaft der Römer zu geraten. Lange Rede, kurzer Sinn: Wer schwach ist, wird herumgeschubst. Diese Erfahrung gilt auch zur Zeit Jesu, als die Worte des Sacharja wieder laut werden. Zumindest der Evangelist Matthäus sieht im Einzug Jesu in Jerusalem – friedlich und auf einem Esel reitend – die Prophetenvision erfüllt. Ob die am Straßenrand Jubelnden auch so gedacht haben, möchte ich bezweifeln. Als sie erkennen, dass Jesus gar nicht daran denkt, die römische Herrschaft abzuschütteln, kippt die Begeisterung des Palmsonntags bekanntlich schnell um in den mörderischen Hass des Karfreitags. Auch für Jesus hätte es besser geheißen: Bitte nicht auf den Esel setzen!
Eine Empfehlung, die bis heute Gültigkeit hat. In den letzten Monaten haben angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auch die großen Kirchen das Recht auf militärische Selbstverteidigung betont und Waffenlieferungen an die Ukraine für richtig erachtet. Und auch für mich selbst haben sich viele pazifistische Vorstellungen der Vergangenheit relativiert. Wer sich auf den Esel setzt und Verhandlungen oder gar einen Waffenstillstand fordert, wird entweder als naiv belächelt oder als Handlanger des Aggressors bezeichnet. Hat sich die Vision des Sacharja, die sich Jesus beim Einzug in Jerusalem zu eigen gemacht hat, erledigt?
Ja, wenn nicht da das wäre, was Jesus im heutigen Evangelium sagt: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.“ Ist das, was menschliche Klugheit sagt, in Wahrheit doch Dummheit? Endet die Weisheit von der militärischen Stärke letzten Endes doch nur in einer Spirale der Gewalt? Ich weiß es nicht, doch die Sache mit dem Esel scheint mir noch nicht erledigt zu sein. Der sich an Palmsonntag auf ihn gesetzt hat, starb am Kreuz, doch er blieb nicht im Tod …