28. Sonntag im Jahreskreis A, 15. 10. 2023

Klingt es nicht wie ein Hohn in diesen Tagen, wenn da in der alttestamentlichen Lesung davon die Rede ist, dass auf dem Berg Zion, im Herzen Jerusalems, ein üppiges Gelage gefeiert wird. Zu diesem Gelage sind alle eingeladen, alle Völker der Erde, ohne Ausnahmen. Nur das Beste wird aufgetischt, Essen und Trinken im Überfluss, Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Und dann schauen wir auf die Realität in diesen Tagen und da mag dieser biblische Traum tatsächlich wie ein Hohn klingen. Ein Flugzeug nach dem anderen evakuiert die Pilger und Touristen aus Israel und Jerusalem; ständig wird Bombenalarm gegeben. Die Menschen flehen in Schutzräume statt in die Restaurants. Die Gesichter der Überlebenden sind voller Tränen. Die Angehörigen der entführten Menschen, besonders der Kinder, bangen um das Leben der Entführten, die internationale Diplomatie läuft auf Hochtouren, die Staatschefs und Außenminister werden nervös angesichts der Gefahren, die von einem Konflikt ausgehen, der erst vor wenigen Tagen wieder ausgebrochen ist. Innerhalb weniger Stunden hat der Terror aus dem Gazastreifen es vermocht, den Ukrainekrieg aus dem internationalen Interesse zu verdrängen. Ukraine – war da mal was???

Die Brutalität der Angreifer ist unglaublich: Menschen werden verschleppt, Kleinkinder vor den Augen der Eltern getötet. Bomben werden auf Wohngebieten abgeworfen, Hunderte, ja Tausende Menschen sind bisher zu Tode gekommen – auf beiden Seiten. Und dennoch gibt es weltweit auch andere, die den Terror gutheißen und mit den Gewalttätern sympathisieren. Es ist mir unbegreiflich, wie nach den Gewaltkatastrophen des letzten Jahrhunderts in beiden Weltkriegen und im Holokaust wieder solcher Hass und solche Gewalt aufflammen können. Es leben doch noch viele Menschen, die sich daran erinnern können oder viele haben noch Eltern oder Großeltern, die ihnen von Bombenterror, von Vertreibung, von Zerstörung berichten können. Und umso schlimmer, wenn die Religion als Begründung für die Gewaltexzesse herangezogen wird – egal von welcher Seite. Betroffen sind auch die Menschen, die aus unserem Land zur Zeit vor Ort in Israel waren oder noch sind: Schulklassen, Studienreisende, Praktikanten, Pilger. Sie müssen zum Teil auf komplizierten Umwegen versuchen, aus dem Krisengebiet herauszukommen.

Dabei ist man mit Schuldzuweisungen schnell dabei. Natürlich wird die Hamas als Terrororganisation beschuldigt, den Terror begonnen zu haben und besonders perfide Methoden anzuwenden, um ihren Feinden zu schaden. Aber ich frage mich: wie kann ein solcher Hass wachsen, der ja nicht erst seit letzter Woche da ist, der eine lange Vorgeschichte hat. Was ist vorangegangen an Einschüchterung, an Unterdrückung, an Ausgrenzung, an Gewaltakten? Dieser Hass, den wir erleben, hat eine lange und tiefe Wurzel. Bei meinen letzten Besuchen in Israel ist mir besonders diese riesige Mauer aufgefallen, die das ganze Land durchzieht und die Palästinensergebiete im Westjordanland und im Gazastreifen abtrennt und isoliert. Zur gleichen Zeit haben wir im Schengenraum die Grenzkontrollen abgebaut – aber auch dieser Prozess steht wieder in Frage.

Spielt die Welt eigentlich verrückt? Gibt es eine Antwort darauf, warum Menschen nur noch die Sprache der Gewalt sprechen? Und das gilt genauso für den Krieg in der Ukraine? Gibt es jemanden, der das noch versteht? Ich kann dann auch Menschen verstehen, die abschalten angesichts der ganzen Katastrophenmeldungen – dabei sind die starken Erdbeben und Überschwemmungen der letzten Wochen noch gar nicht berücksichtigt. Ich kann es nachvollziehen, dass Menschen ratlos sind und sich überfordert fühlen.

Aber ich bewundere die Menschen, die trotzdem nicht aufgeben und sich weiterhin engagieren in den Rettungsdiensten und Krankenhäusern, in ihrer Präsenz vor Ort. So hat der deutsche neue Abt der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion in einem Interview gesagt, warum er nach Jerusalem zurückgekehrt sei, obwohl er gerade im Ausland war und damit in Sicherheit: er sagte, ich gehöre hierher; ich will weiter hier sein, weil unser Kloster auf dem Zion ein Ort des Friedens ist und es bleiben soll. „Wenn jemand über unsere Türschwelle geht, soll er spüren, dass er hier durchatmen kann.“ Wir brauchen solche Impulse, damit auch das Verheißungswort aus dem Jesajabuch nicht zum Hohn wird. Es hält den Traum lebendig: an jenem Tag wird der Herr ein Festmahl geben – für alle Völker. Und auch wenn uns die Nachrichten Angst machen und entmutigen können – die Rolle der Menschen, die an Gott, an Jahwe, an Allah glauben ist es, immer wieder neu in kleinen Schritten dieses Fest vorzubereiten und diesen Traum nicht aufzugeben und die Hoffnung zu kultivieren.