Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“ (Lk 14,26)

Dieser Jesus spricht eine lebendige Sprache. Er setzt beim Alltag der Menschen an und geht von dem aus, was sie schon selbst kennen und was für sie vollkommen einleuchtend ist. Viele Menschen folgen ihm nach, weil er seinen Taten auch Worte folgen lässt und sich denen zuwendet, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sein Reden hinterlässt einen so tief Eindruck, dass manche Sätze schließlich lange nach seinem Tod am Kreuz in den Evangelien aufgeschrieben wurden.

Viele der von Jesus verwendeten Bilder sind auch heute noch leicht verständlich. Familie ist für die meisten von uns ein hohes Gut, vielleicht sogar das höchste. Immer wieder beginnen wir aufs Neue mit Projekten und Vorhaben, mal besser geplant und überlegt, mal etwas schlechter vorbereitet und spontaner. Und somit treffen uns die Worte Jesu auch heute noch ins Mark, bis hin zu dem, was der Evangelist Lukas im Evangelium als Fazit festhält: Der Verzicht auf allen Besitz.

Jesus brauchte Jüngerinnen und Jünger, auf die er sich verlassen konnte, die bereit waren, sich auf seinen radikalen Lebensstil einzulassen, die am Ende sogar bereit gewesen wären, mit ihm in den Tod zu gehen.

Jesus brauchte aber genauso ein Netzwerk an Menschen, die nicht bereit waren, mit ihm überall hinzugehen, die ihn aber immer wieder bei sich zuhause aufnahmen und so auf ihre Art und Weise unterstützten.

Die Aufgabe dieser Bilder und der scheinbar eindeutigen Sprache Jesu ist es also nicht, eine eindeutige Gebrauchsanweisung zum Christsein zu liefern. Manche dieser Bilder widersprechen sich sogar. So lässt sich der Aufruf zur Nächstenliebe nur schwer mit dem Verlassen pflegebedürftiger Eltern oder der eigenen Kinder in Einklang bringen. So besteht die Gefahr, es mit der Nachfolge Jesu schnell wieder bleiben zu lassen, nach dem Motto: „Schaff ich ja sowieso nicht.“

Das Ziel dieser radikalen Sprache ist es, sich selbst Gedanken zu machen. Aus der Frage „Bin ich bereit, alles zu geben?“ werden Fragen wie „Was kann ich geben?“, „Auf welche Art und Weise möchte ich mithelfen?“ oder „Wie kann mein Beitrag zu einer besseren Welt aussehen?“

Der Erfolg der Sprache Jesu liegt auch nicht darin, dass sich nur wenige angesprochen fühlten, ihr Leben tatsächlich radikal zu ändern, sondern darin, dass sie sehr viele Menschen zum Nachdenken gebracht hat über das eigene Leben, dass sehr viele eine ehrliche, persönliche Bestandsaufnahme gemacht und dass dann sehr viele ihren Teil – egal ob groß oder klein – zum großen Ganzen beigetragen haben.

Und auch, wenn es in den vergangenen 2000 Jahren immer wieder einzelne Menschen gegeben hat, die scheinbar als leuchtende Vorbilder für eine kompromisslose Nachfolge Jesu stehen, so ist es in erster Linie der Verdienst vieler Millionen unbekannter Christen, dass die Botschaft von einem Gott der Liebe und der Glaube an eine bessere Welt bis in unsere Zeit getragen wurde und bis heute von Bedeutung ist.

Bereit zu sein, alles zu geben, ist ein Weg, um Jesus nachzufolgen. Aber es ist ganz sicher nicht der einzige.

Hans-Dieter Schwilski