Predigt am 30.Sonntag im Jahreskreis B

„Wie Blinde stolpern wir im Dunkeln… wer schafft uns neue Sicht?“ So heißt es in einem neueren geistlichen Lied. Bei dem, was wir zur Zeit in unserer Welt erleben, kann einem schon einmal sprichwörtlich das Hören und auch das Sehen vergehen. Wir sehen nicht mehr wie es weiter gehen kann, wir tappen im Dunkeln, und wir fragen uns, wer oder was lässt uns neu sehen; was macht uns wieder Hoffnung, wo sind neue Perspektiven. Um Fragen der Perspektiven für die Zukunft unserer Kirche im Erzbistum Paderborn ging es auch beim gestrigen Diözesanen Forum in sechs Orten des Bistums und am Bildschirm via Videostream. Natürlich gab es noch keine konkreten Beschlüsse, aber erste Ideen, Hinweise und ein Zielbild 2030+. Interessant fand ich zwei junge Leute, die immer wieder auf der Leinwand auftauchten und als so genannte Musterbrecher, mit ihren Fragen und Eingabe andere Perspektiven und Sichtweisen eröffneten und den Blickwinkel erweiterten.

Zwei Musterbrechern begegnen wir heute auch in den biblischen Lesungen. In den Texten hören wir von zweien, die den Menschen die Augen öffnen und ihnen eine neue Sicht, sprich Perspektive für ihr Leben eröffneten

Da ist zum einen Jeremia. Aus seinem Buch hörten wir eben den Satz: „Ich bringe sie heim und sammle sie von den Enden der Erde, unter ihnen Blinde und Lahme. Weinend kommen sie und in Erbarmen geleite ich sie.“ „Gott hat Erbarmen, er rettet, er kommt, er heilt und verschafft so eine neue Sicht!“, ruft Jeremia seinem Volk zu. Mit anderen Worten: Hört auf zu lamentieren, schaut hin, was Gott euch möglich macht, ändert eure Perspektive und euer Verhalten.

Sein Buch ist kurz vor der größten Katastrophe des Volkes Israel entstanden, kurz vor dem Babylonischen Exil. Das Volk befand sich in aussichtsloser Situation – so schien es zumindest. Und wie alle Propheten dieser Zeit weist auch Jeremia auf die Rettung hin, die durch Gott kommen kann. Gott kann auch mitten in allem Unheil Heil und neues Leben schaffen, wenn man ihm vertraut. Das ist seine Botschaft und die der anderen Propheten. Sie wollen dem Volk eine neue Sicht verschaffen, wollen quasi dem Volk die Augen öffnen und ihm einen Weg zeigen, der herausführt aus der Aussichtslosigkeit, einen Weg, die bekannten Muster und ausgetretenen Pfade hinter sich lässt und der sie nicht nur überleben, sondern neu leben lässt: „Ich führe sie an Wasserbäche, auf ebenem Weg, wo sie nicht straucheln.“

Und dann ist da Jesus: Im Evangelium hören wir von der Heilung des blinden Bartimäus. Ein Mann, der nicht einmal einen Namen hat, sondern für die Menschen einfach nur der Sohn, „Bar“, des „Timäus“ war. Seine Lage – körperlich und gesellschaftlich – war im wahrsten Sinn des Wortes aussichtslos, denn ihm war die (Aus)Sicht nicht nur wegen seiner körperlichen Schwäche verstellt: Er konnte nicht sehen und er hatte kein Ansehen. Und er fragt sich: Wer verschafft mir neue Sicht? Vielleicht dieser Jesus, Sohn Gottes?

Und Jesus durchbricht das Muster, mit dem die Menschen Bartimäus bisher begegnet sind und gibt ihm Ansehen. Und dann gehen im tatsächlich die Augen wieder auf. Jesus gibt ihm Ansehen und verschafft ihm so eine neue Sicht, eine neue Lebensperspektive und er erkennt: Gott schafft Heil auch in scheinbar aussichtsloser Situation.

In den Lesungen geht es also um das Erkennen und Wahrnehmen von Gottes Heilshandeln und um ein anderes Sehen, eine neue Sicht auf die Dinge – auch in schwierigen, aussichtslos scheinenden Zeiten. Lassen wir uns also von den Texten und den Trostworten darin dazu ermutigen, die Augen aufzumachen, hinzuschauen und zu sehen z. B. die kleinen Zeichen der Hoffnung, die kleinen Aufbrüche. Lassen wir uns nicht erschrecken und verängstigen, von dem was um uns herum in der Welt und in der Kirche geschieht. Denn, wir sind ja nicht allein. Gott lässt niemanden sitzen, weder sein Volk Israel noch Bartimäus damals am Wegesrand noch uns heute. Er öffnet uns die Augen, eröffnet uns neue Perspektiven, verschafft uns eine neue Sicht, die hoffnungsvoll in die Zukunft schauen und das Leben leben lässt.

Oder um es mit Worten des Jesuitenpaters Alfred Delp zu sagen, der 1945 von den Nationalsozialisten in Berlin-Plötzensee ermordet wurde und kurz vor seinem Tod schrieb:

„Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.“

Amen!

Manfred Morfeld