1. Fastensonntag A, 26. 2. 2023

Schwestern und Brüder,

oft hilft es beim Verstehen eines biblischen Textes, wenn wir einmal nachgucken, in welchem Kontext er steht. Was wird davor erzählt und was danach? Vor der Wüstenerzählung unseres heutigen Evangeliums z.B. berichtet Matthäus über die Taufe Jesu. Jesus wird öffentlich und offiziell von Gott berufen. Aber Gott gibt ihm keine weiteren Anweisungen oder Verhaltensregeln. Nach unserem Wüsten-Evangelium schließt Matthäus die Bergpredigt und viele Wundererzählungen an. Das heißt also: In der Wüste geschieht etwas ganz Entscheidendes: hier erschließt sich Jesus, worin sein Auftrag, seine Botschaft besteht. Er erkennt nach der Beauftragung bei der Taufe jetzt in der Wüste, was er die nächsten und letzten drei Jahre seines Lebens sagen und tun will. Es geht im heutigen Evangelium also um Jesus. Und zugleich geht es um sie und um mich. Sie, ich, wir alle kommen darin vor. Und das auf eine ganz spannende Weise, die wir uns genauer ansehen sollten.

Zunächst die Szenerie, der Ort: die Wüste. In unserem Verständnis steht Wüste eher für Einsamkeit, Depression, Ausgeliefertsein und Tod. In unserem Evangelium und der gesamten Bibel steht die Wüste aber für etwas anderes: sie ist Rückzugsort, an dem man sich für die Zukunft neu ordnet. Wüste ist hier der Ort, an dem man Gott und sich selbst erkennt. Wüste ist der Ort der Hoffnung, nicht der Verzweiflung, des Lernens und nicht der Zermürbung, der Lebensweisheit und nicht der Lebensverkümmerung.

Deswegen gab es im frühen Christentum viele Christen, die sich in die Wüste zurückzogen. Im 4./5. Jahrhundert gab es mehr als 10tausend Einsiedler und Mönche, die in die Wüste Ägyptens gingen – die sogenannten Wüstenväter. Einer der berühmtesten ist sicher der hl. Antonius (und das ist nicht der Antonius, der für die verklüngelten Sachen zuständig ist). Immer, wenn der Wüsten-Antonius gemalt worden ist, dann im Kampf mit kleinen und großen Monstern und Dämonen, die ihn piesacken. Antonius erwehrt sich ihrer tapfer. Immer dachten die Wüstenväter, diese Dämonen seien vom Teufel geschickt.

Es ist fast skurril zu nennen: die Wüstenväter wollten in der Wüste Gott finden. Immer ist es ihnen das nicht gelungen. Aber immer ist es den Dämonen gelungen, die Wüstenväter zu finden! Alle Wüstenväter berichten von ihnen. Und Ähnliches erzählt uns auch das heutige Evangelium. Jesus als Ober-Wüstenvater, sozusagen…

Die Dämonen – das ist ein Bild für ein Phänomen, das wir wahrscheinlich alle kennen: wenn wir zur Ruhe kommen, wenn wir längere Zeit in der Stille verbringen, vorzugsweise nachts, dann kommen sie, die Dämonen. Plötzlich hören oder sehen wir sie: unangenehme Gedanken und Gefühle, Unzufriedenheit, innere Unruhe, Angst, Wut, Ärger, Depression, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ungeklärtes, schlimme Erfahrungen. Die Psychologie nennt das, was die Wüstenväter Dämonen nennen, heute „Schatten.“ Sie kommen in der Stille, häufig in der Nacht, raus und haben uns schnell im Griff.

Die Dämonen, die Schatten, kommen, wenn um uns herum alles dunkel und still geworden ist. Tagsüber haben wir Lärm um uns, wir sind abgelenkt durch Aktivitäten. Aber nachts, oder wenn wir uns eine Zeit der Stille gönnen, dann haben wir unsere Schattenseiten nicht mehr unter Kontrolle. Dann kämpfen wir, wie die Wüstenväter. Und tagsüber lenken wir uns wieder ab durch Arbeit oder Unterhaltung. Wir versuchen dann zu verneinen und zu verdrängen, was wir nachts oder in der Stille erkannt haben. Wenige Menschen können ihre Schatten vollkommen verdrängen. Das sind dann auch meist recht oberflächliche Menschen. Bei den meisten Menschen wechseln sich der Kampf mit dem Schatten und die Verdrängung ihrer Schatten ab.

Unser Ober-Wüstenvater Jesus zeigt uns heute, wie wir mit unseren Schatten auch umgehen könnten. Drei Mal kommt der Teufel. Drei Mal muß der den Schwanz einziehen. Und am Schluß gibt er auf. Und warum? – Weil Jesus richtig reagiert! Jesus reagiert jedes Mal nach dem selben Muster: Er verneint den Dämon nicht, er verdrängt seine Schatten nicht, er verschließt nicht die Ohren. – Im Gegenteil: er hört ganz genau hin. So gibt er dem Dämon zu verstehen: „Ja, du bist da. Ich höre dir zu. Ich mag dich zwar nicht, aber ich akzeptiere dich. Was willst du?“ Und dann bringt der Teufel sein Anliegen vor. Und Jesus reagiert nicht abweisend, er kämpft nicht, er verdrängt nicht, er diskutiert nicht, sondern er nimmt die Worte des Dämons ernst. Er nimmt sie ernst, um sie dann zu widerlegen. Sehen wir kurz auf die drei Versuchungen Jesu.

Da geht es zuerst um die Verwandlung von Steinen in Brot. Und Jesus weist darauf hin: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Es geht bei dieser Frage nicht um den Hunger in der Welt, sondern um die Frage: Was gibt dem Leben Sinn? Das Haben oder das Sein? Eine hochaktuelle Frage! Und Jesus sagt: Materielles ist Bedingung für das Leben, aber Sinn bekommt das Leben durch Besitz nicht. Der Teufel schweigt. Besiegt. Zumindest für Jesus. Aber die Frage steckt uns und unserer Gesellschaft als Stachel im Fleisch…

Bei der Zweiten Versuchung geht es um das Thema Gottvertrauen. Der Dämon will Jesus einen naiven Glauben schmackhaft machen: „Spring doch einfach, Gott wird dich schon auffangen!“ Diese Naivität entlarvt Jesus und plädiert für einen erwachsenen Glauben, zu dem auch Vernunft gehört. Und zu solchem erwachsenen Glauben gehört auch die Verantwortung für sich selbst und die anderen. „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht auf die Probe stellen.“ Auch hier ein Sieg über den Dämon!

Und deswegen versucht dieser es ein drittes Mal. Und hier gibt er alles, was er kann: er will unbegrenzte Macht schenken. Darauf geht Jesus gar nicht ein. Für ihn ist auf dem Berg der Versuchung schon klar, was drei Jahre später auf dem Berg Golgota deutlich wird: nicht Herrschermacht ist wichtig, sondern die Ohnmacht der Liebe. Ostern zeigt es: Liebe besiegt kalte Macht. „Nur vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ Sieg auf der ganzen Linie. Der Dämon gibt auf und verschwindet.

Und als der Dämon verschwunden ist, kommen die Engel, um Jesus zu dienen. Das will sagen: Jesus tritt ein in eine neue Phase seines Lebens. Jetzt hat er erkannt: er ist der Messias. In der Wüste und Stille haben sich für Jesus die drei Grundsatzfragen geklärt, die sein Reden und Tun in den nächsten drei Jahren bestimmen. Jetzt weiß Jesus, was er den Leuten verkünden soll und aus welcher Vollmacht heraus er das tut. Seit Jesus aus der Wüste gekommen ist, fragt er uns beständig nach dem Sinn des Lebens, nach dem Wert von Besitz, nach rechtem Vertrauen, nach wirklicher Verantwortung, nach der richtigen Ausübung von Macht und der Macht der Liebe. Fragen, denen wir bis heute gerne ausweichen…

Schwestern und Brüder,

vergessen wir nicht das Stück Lebenshilfe, das uns im heutigen Evangelium geschenkt ist: wie wir mit unseren Schatten umgehen sollen. – Sie nicht verdrängen, ihnen aber auch nicht folgen. Jesus lehrt uns, was Karl Rahner, neben Josef Ratzinger wohl der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts, sinngemäß so ausgedrückt hat:

Der Mensch braucht für ein gelingendes Leben nicht nur Unterhalt und Unterhaltung, sondern vielmehr Halt und Haltung.

AMEN.

Stefan Wallek