„Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten!“ Wer das hört, weiß, dass er nicht in einer Mathematikstunde ist, sondern bei einer Versteigerung. Jeder kennt das Prinzip: Der Meistbietende bekommt, was viele wollen. „The winner takes it all“ (ABBA). Und es ist ja auch plausibel. Wer würde schon den höheren Preis zahlen, wenn er dasselbe auch billiger bekommen kann? Wer würde weniger nehmen, wenn er auch mehr bekommen kann
Solange es um Waren geht, mag das in Ordnung sein. „Haarig“ wird’s aber, wenn man dieses Prinzip auf das ganze Leben ausdehnt: Wenn nur der gesund bleibt, der das Geld dafür hat; wenn ich reiche Eltern brauche, um studieren zu können! Wenn es nur wenige Gewinner gibt, die alles bekommen und viele Verlierer, die nichts haben, wie bleibt dann das Leben für alle lebenswert, eine Gesellschaft menschlich?
Szenewechsel: Jerusalem zur Zeit Jesu. „Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, der eine ein Pharisäer, der andere Zöllner“. Zwei Menschen, zwei Typen. Stellen wir uns unser Evangelium als Karikatur vor, wie wir sie in Zeitungen oder im Netz sehen. Zwei nebeneinanderstehende Strichzeichnungen. Die gemeinsame Bildunterschrift: „The winner takes it all“.
Die eine Zeichnung zeigt einen, in dem sich viele von uns gerne wiedererkennen werden: Einer, der/die richtig engagiert ist und nach hohen moralischen Maßstäben lebt; vielleicht macht er/sie in der Flüchtlingsarbeit mit oder hilft Obdachlosen; oder er ernährt sich bewusst und spendet viel für die Armen (10% jeden Monat, jeder mag sich ausrechnen, wie viel das bei seinem Gehalt/seiner Rente wären); oder sie versucht, ihren Glauben bewusst und aufgeklärt zu leben.
Der andere fährt einen auffällig noblen Schlitten. Irgendwie macht er viel Geld, man sollte aber nicht fragen, woher das kommt. Und er trägt das Protzige vor sich her, mehr Geld als guter Geschmack. Wenn er redet, ist es aufschneiderisch, mehr Schein als Sein. Kleidung und Wohnung sind exzellent – aber kalt. Ein schmieriger Typ!
Der oder die Letztbeschriebenen sind bei Jesus Zolleintreiber, die Engagierten Pharisäer. „The Winner takes it all“. Den Zuschlag bekommt: Der eiskalteTyp mit dem dicken Schlitten!
Höchst originell und absichtsvoll, unser Evangelium! Beide beten zu Gott. Die erste spricht ein Dankgebet: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, die Betrügerinnen … oder auch wie dieser Zöllner dort“. Der andere kommt kaum über die Schwelle der Tempelhalle. Er betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“.
Wie ging es Ihnen gerade beim Hören? Der ein oder die anderen mag gedacht haben: Schon wieder so eigenartige Gestalten, wie an den letzten Sonntagen: Ein korrupter Verwalter, der das Vermögen anderer verschleudert; ein protzig Reicher, der den armen Lazarus vor seiner Tür vegetieren lässt; ein gewissenloser Richter, der einer armen Frau das Haus abjagt. Und immer dieses maßlos Übertriebene, dass man sich fragt: Was soll das jetzt? Sollen das nun Vorbilder sein, oder was? Und man denkt: Das ist nicht mehr mein Gottesbild?
Vielleicht lesen oder hören wir die Evangelien zu ernst, zu wenig spielerisch, so als hätte Jesus immer nur Bergpredigten gehalten. Gerade Lukas ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler, farbig, oft mit Witz und Hintersinn. Wir hören sie am besten, wenn wir sie wie ein Märchen hören: „Es war einmal…“. Wie bei Märchen sind Lukas‘ Gleichnisse absichtlich völlig überzogen, weil sie uns gerade dadurch den Spiegel vorhalten können, nach dem Motto: Ich bin zwar nicht so gewissenlos wie der korrupte Richter, aber etwas davon kenne ich …!
Heute also Pharisäer und Zöllner. In dem Pharisäer hält er, so befürchte ich, gerade uns den Spiegel vor: den Gläubigen, seien sie nun besonders gebotetreu oder besonders aufgeklärt; den Suchenden und Fragenden; denen, die nach moralischen Maßstäben Lebenden… – allen, die sich ihre Integrität zugutehalten… Die fragt er: Weißt Du’s?
Vielleicht erkennen wir uns aber auch ein bisschen im Zöllner wieder – vor allem, wenn wir uns im Leben schon mal so richtig verrannt haben, wenn da Dinge in meinem Leben sind, für die ich mich schäme, die ich im Kreis der ‚Guten‘ nie preisgeben könnte.
Nun soll man den ‚Typen Zöllner‘ nicht besser machen als er ist. Ohne Frage gibt es schlechte Menschen, und der Zöllner im Evangelium ist es vermutlich auch. Aber: Er weiß das! Er weiß, wie sehr er darauf angewiesen ist, dass andere seine Taten nicht aufrechnen. Deswegen wird er eines nicht so schnell tun: Andere Menschen wegen ihrer Fehler und Schwächen verachten.
In der Vorbereitung habe ich eine schöne Deutung unseres Gleichnisses vom Hl. Johannes Chrysostomus gelesen. Er kritisiert beim Pharisäer „das Übel, das sich im Schatten der Tugend einschleicht“! Das gefällt mir. Es ist die große Versuchung aller Menschen mit hohen Maßstäben! Der Pharisäer hat sicher viele gute Sachen gemacht, merkt aber dabei nicht, wie sehr es ihm letztlich nur um sich selbst geht, darum, gut dazustehen.
Seit einigen Jahren gibt es den Modebegriff vom Gutmenschen, und das ist eher abfällig gemeint. Ich persönlich würde sagen: Wir brauchen viel mehr Gutmenschen! Aber auf der anderen Seite kommt die Abwehr auch nicht von Ungefähr – eben durch die innewohnende Gefahr der Selbstgerechtigkeit, des „hohen Rosses“. Und da mag sich jede(r) selbst prüfen: Wie sehe ich mich in Bezug auf Menschen, die mit meinen moralischen Maßstäben nicht mithalten können? Wie sehe ich die Gemeinschaft mit denen, die Glaube/Kirche/Gemeinde völlig anders erleben, wollen, fühlen?
„Gott ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen”… nicht so, wie der Zöllner, nicht so, wie der Pharisäer! Vielleicht haben Sie/habt Ihr noch nie so gebetet: Habt ihr auch noch nie so gedacht, oder gefühlt/empfunden? Glauben ist keine moralische Selbstbestätigung, das wäre nicht ein Glaube an Gott, sondern an sich selbst. Gott ist nicht die höchste Instanz für „Gutes tun“! Man kann es vielleicht so sagen: Gott ist von uns allen so sehr verschieden, dass wir (die Pharisäer, die Zöllner und andere Menschentypen) einander sehr gleich werden. Sie sind unsere Geschwister.
Dem Blick, dem Empfinden des anderen in mir Raum geben – das dreht den Spieß um! Jesus sagt vom Zöllner, dass Gott ihn angenommen hat. Na, wenn das so ist, dann haben ja auch wir noch eine Chance.
