In einer Stadt führt ein Seiltänzer in schwindelnder Höhe seine Kunststücke vor. Zum Schluss schiebt er eine Schubkarre voller Ziegelsteine über das schwankende Seil. Auf der anderen Seite angekommen, lädt er die Steine aus. Dabei fragt er die Zuschauer, ob sie ihm zutrauen, die Karre leer zurückzuschieben. Applaus bestätigt ihn. Dann fragt der Seiltänzer den am nächsten unter ihm stehenden Zuschauer: „Trauen Sie mir das auch zu?“ Die Antwort lautet: „Natürlich!“ Darauf der Seiltänzer: „Dann kommen Sie herauf und steigen ein. Ich schiebe Sie hinüber.“

Ob der Zuschauer eingestiegen ist oder nicht, erfahren wir nicht. Aber ich habe gedacht, als Christen müssen wir uns momentan auch ganz schön was trauen. Die katholische Kirche befindet sich in einer totalen Schieflage. Auf einem Hochseil würde sie unweigerlich abstürzen. Missbrauchsvorwürfe wohin man schaut, auch bei dem Hilfswerk Renovabis und bei Adveniat. Viele Gutachten der einzelnen Bistümer sind noch gar nicht veröffentlicht. Wenn es geschieht, wie jüngst das Münsteraner Gutachten, sind wir wieder einmal zutiefst erschüttert. Das Thema wird bleiben. Der Generalvikar von Speyer, Andreas Sturm, wechselte zur Alt-Katholischen Kirche, da er jede Hoffnung auf Wandlung der römisch-katholischen Kirche verloren habe. Kardinal Marx sprach bei seinem Rücktrittsgesuch gar von einem „toten Punkt“, an dem die Kirche angekommen sei.

Da mutet die Aufforderung Jesu im Lukasevangelium (LK 9,51-62), ihm bedingungslos und sofort zu folgen, ohne den Vater zu beerdigen, ohne sich von der Familie zu verabschieden, den Angesprochenen schon einiges zu, genau wie dem Zuschauer der Hochseilakrobatik. Wäre ich Jesus unter seinen Bedingungen damals gefolgt? Würde ich mich heute trauen, dies zu tun? Außerhalb der Kirche müssen wir uns oft schon rechtfertigen, warum wir ihr noch angehören und noch glauben. Es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, sich zu seinem Glauben, zu Jesus, zu bekennen.

Und dann erlebe ich während einer Fernsehsendung, also vor einem großen Publikum, folgendes: eine junge Frau erzählt ganz offen, dass ihr und ihrem Mann Jesus sehr, sehr wichtig sei und dies sich überall in ihrem Leben widerspiegele. Da war ich echt sprachlos. So viel Mut. Diese Frau würde sicherlich ohne zu zögern in die Schubkarre einsteigen, sie würde fest auf Jesus vertrauen.

Ja, gerade in dieser unruhigen Zeit dürfen und müssen wir uns trauen, Jesus weiter zu folgen. Er wird immer bei uns sein und uns heil auf die andere Seite des Seiles bringen. Mit ihm an unserer Seite können wir mit Verantwortlichen in der Kirche streiten, können wir mit Mitmenschen, die uns nicht mehr verstehen, streiten. Mit Jesus an unserer Seite können wir etwas verändern. Steigen wir also ein! Und stehen wir dazu! Wir können uns mit Jesus durchaus sehen lassen.

Ich würde mich trauen!

Martina Rohrbeck