Predigt 7. Sonntag im Jahreskreis C 2022

Schwestern und Brüder,

eine Ursehnsucht des Menschen ist es, einen sicheren Ort zu haben, einen Ort, an dem wir wachsen und uns entfalten können, einen Rückzugsort, an dem Friede und Geborgenheit zu finden sind.

Vielleicht haben sie das auch schon einmal erlebt:

Sie lernen eine Familie kennen und halten sie für eine perfekte, für eine heile, harmonische Familie, in der alle zu ihrem Recht kommen, in der keiner zurückstecken muß, in der man miteinander spricht und nicht streitet und man hat das Gefühl, der Friede dieser Familie geht auf uns über… Und irgendwann merkt man, es ist doch nicht alles Gold, was glänzt. Auch die Welt dieser Familie ist nicht heile, auch diese Familie macht sich das Leben gegenseitig immer wieder einmal schwer, Macht, Verletztheit und Unversöhnlichkeit beschwören auch hier immer wieder Konflikte herauf. Aber von außen ist das nicht sichtbar…

Offensichtlich gibt es in menschlicher Gemeinschaft zwei Seiten, die gleichzeitig da sind: eine Leidensseite und eine Auferstehungsseite, könnte man sagen.

Jede Gemeinschaft, sei es unter Arbeitskollegen, in Ordensgemeinschaften, in der Familie, in der Gemeinde oder in irgendeine andere Lebensgemeinschaft hat diese beiden Seiten. Das ist unsere Realität:

auf der einen Seite stehen Konflikte, Spannungen, unser aller Begrenzungen, unser aller Liebesunfähigkeit, unser Ringen um Liebe und Frieden.

Auf der anderen Seite stehen Erfahrungen, wo Beziehung glückt, wo Gemeinschaft uns bereichert und reifen läßt. An dieser Stelle werden dann die Früchte unseres Ringens um ein liebevolles Miteinander sichtbar.

Aber offensichtlich gibt es die eine Seite nicht ohne die andere Seite: Leidensseite und Auferstehungsseite.

Es ist nicht schlimm, daß es die Leidensseite gibt, das ist unsere menschliche Realität, es gibt hier auf der Erde kein Leben, das nicht auch eine Leidensseite hätte. Wichtig ist es, diese eine Frage richtig zu beantworten: Wie können wir mit Spannungen, Verletzungen, Problemen so umgehen, daß sie uns nicht kaputt machen, sondern uns in den Frieden und die Versöhnung führen?

Anders formuliert: Wie schaffen wir es, egal welcher Lebensgemeinschaft wir angehören, zu einer Auferstehungsgemeinschaft zu werden?

Wir können zur Beantwortung dieser Frage aus dem reichen Schatz der Bibel und der christlichen Tradition schöpfen. Wir können, so könnte man etwas salopp sagen, in eine „Therapie bei Gott“ gehen. Diese Therapie hat drei Schritte.

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Der erste Schritt der Gottestherapie.

Wir alle haben in unserem Herzen ein geheimes Waffenarsenal und wenn uns Unrecht getan wird, wenn wir verletzt werden, dann holen wir unsere Waffen heraus und schwingen innerlich die Keulen. „Feuerbrände lasse regnen auf sie, stoße sie in die Grube, daß sie nie wieder aufstehen.“, so betet der 140. Psalm, ein Rachepsalm. Schonungslos spricht der Psalm aus, was wir denken und in unserem Herzen vorgeht. Das Buch der Psalmen beschreibt den Menschen ganz realistisch mit seinen beiden Seiten, der Leidensseite und der Auferstehungsseite.

Wenn wir uns in so einer Situation, mit solchen Gedanken ertappen, dann könnten wir den Rat der hl. Klara von Assisi beherzigen: schau dich im Spiegel Jesu an – stell dich und deine Gedanken, deine Seele und dein Herz, vor ihn hin und sieh, ob du vor seiner ewigen Liebe mit deinen Gedanken, deiner Seele und deinem Herzen Bestand haben kannst.

Wahrscheinlich werden wir uns erschrecken, wenn wir uns auf diese Frage eine ehrliche Antwort geben. Wir erschrecken vor dem, was in unserem Herzen an Rache, Wut und Unversöhnlichkeit vorhanden ist. Aber dieses Erschrecken ist kein rein menschliches Erschrecken, das uns sofort verurteilt und uns niedermacht; man könnte sagen, es ist ein „heiliges Erschrecken“: ich schaue mich selbst mit dem liebevollen Blick Jesu an, erkenne das Aggressive in mir und werde bereit, mich von seiner Liebe verwandeln zu lassen.

Das ist der erste Schritt, die Voraussetzung der Therapie Gottes mit uns.

Der zweite Schritt der Gottestherapie.

Diesen Schritt haben wir gerade im Evangelium von Jesus gehört: „Segnet die, die euch verfluchen, betet für die, die euch misshandeln.“ Jesus lädt uns ein, unsere Waffen aus der Hand zu legen. Er sagt uns: „Mit all eurer Wut, eurer Verletztheit, eurer Rache und eurer Unversöhnlichkeit könnt ihr den andern nicht verändern und nie könnt ihr euch selbst Frieden geben. Kämpft mit meinen Waffen, denn nur ich habe die Macht, Herzen zu verwandeln und Frieden zu schenken, den die Welt nicht schenken kann. Immer, wenn du innerlich in Aufruhr kommst, segne den Menschen, über den du dich ärgerst!“

Dieses Segensgebet für unsere Feinde ist ein Gebet gegen alle unsere Gefühle und alle Regungen unseres Herzens. Aber wenn wir mit diesem Segensgebet beginnen würden, dann würden wir vielleicht erfahren, daß dieser Segen unser Herz durchdringt und es ruhig und friedlich wird.

Das funktioniert nicht beim ersten Mal, das ist ein langer Prozess, den wir uns zugestehen müssen. Aber am Ende erlangen wir unsere Freiheit wieder zurück, weil jedes erlittene Unrecht uns an den bindet, der uns Unrecht getan hat. Wenn wir für ihn beten, dann hat er uns nicht mehr in der Hand. Wir ärgern uns nicht mehr monatelang über ihn, er verliert seine Macht über uns. Segnende Menschen sind freie Menschen, die im Konflikt auf Gottes verwandelnde Liebe setzen.

Und jetzt der dritte und letzte Schritt der Gottestherapie.

Diesen dritten Schritt habe ich gefunden beim heiligen Bonaventura, der das einmal in einer seiner Schriften so nennt: „durch das Tor der Wunde treten.“

Wir glauben an einen Gott, der in seinem Sohn für uns gelitten hat und verwundet wurde, damit er uns in unseren Verwundungen und Leiden begegnen und heilen kann. Geben wir unseren Verwundungen einen ganz konkreten Namen: Ungerechtigkeit, Verlassenheit, Ausnutzung, im Stich gelassen werden, übersehen werden, ausgeliefert sein, Verleumdung. Und dann suchen sie im Leben Jesu nach derselben Situation: Wo wurde er in seinem Leben ungerecht behandelt, verleumdet, im Stich gelassen? Legen sie im Gebet ihre Wunde in die Wunde Jesu: „Herr Jesus, in deine Wunde der Verleumdung lege ich meine Wunde der Verleumdung und ich bitte dich: heile du diese Wunde, schenke du mir den Frieden und die Vergebung, die nur du geben kannst.“

Da, wo wir noch nicht vergeben können, dürfen wir Jesus bitten, daß er an unserer Stelle vergibt. Ist ihnen einmal aufgefallen, daß Jesus am Kreuz seinen Mördern auch nicht selbst vergibt, sondern bittet: „Vater, vergib du ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Wir dürfen Jesus alles geben, was an Gefühlen in unserem Herzen und an Gedanken in unseren Köpfen ist. Durch seine Wunden sind und werden wir geheilt.

Wir treten bald in die Fastenzeit ein und sind dann besonders eingeladen, den Kreuzweg zu beten. Sinn des Kreuzweggebetes ist es, daß wir unsere eigenen Wunden und die Wunden der Menschen auf der ganzen Welt in Berührung bringen mit Jesu Wunden und so sein Heil in und unter uns wachsen kann.

Unsere Wunden werden bleiben, aber es werden befriedete Wunden sein, wie die Wunden, die Jesus den Jüngern am Osterfest zeigt. Auch der Auferstandene war noch an seinen Wunden erkennbar, aber es waren versöhnte, verklärte Wunden, aus denen nicht Blut und Schmerz, sondern Vergebung und Erbarmen fließen. „Friede sei mit euch!“ ist ja das erste, was der Auferstandene den Jüngern wünscht, als er ihnen erscheint und ihnen seine Wunden zeigt…

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Schwestern und Brüder,

ich weiß, daß das ein schwerer Weg der Gottestherapie ist und ich fühle mich da auch immer wieder neu als Anfänger, aber ich glaube trotzdem, daß es ein gangbarer Weg ist, mit unseren Konflikten und Verletzungen umzugehen. Und wenn wir es alle einmal wieder damit versuchten, dann wären viele unserer Familien, unsere Gemeinschaften und Gemeinden nicht Leidensgemeinschaften, sondern echte Auferstehungsgemeinschaften.

AMEN.