19. Sonntag im Jahreskreis B (Epheserbrief 4, 30-5,2)

Keine Ahnung, liebe Schwestern und Brüder, wie die Auflistung von Boshaftigkeiten aus dem Epheserbrief bei Ihnen angekommen ist. Bitterkeit. Und zwar jede Art von Bitterkeit. Wut. Zorn. Lästerung. Und dann die Alternative dazu. Sie soll, wenn es nach dieser Lesung geht, geradezu typisch sein für den Umgangsstil der Christen: Seid gütig zueinander. Seid barmherzig. Vergebt einander. Führt euer Leben in Liebe.

Hand aufs Herz: Wie realistisch ist das denn? Hat das je eine Chance gehabt, so auch gelebt zu werden in einer christlichen Gemeinde? In einer Familie? In der Kirche?

Weiß Gott, die Gefahr scheint nicht von der Hand zu weisen zu sein, sich als Mensch und als Christ dem großen Anspruch dieser Ethik eines Miteinander zu entziehen. Schließlich darf auch hier in Rechnung gestellt werden, dass nichts „so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird“. Zugegeben: angesichts so mancher offizieller Äußerung in unserer Kirche packt mich ungewollt geballter Zorn. Da bin ich leicht geneigt, ein echt lästerliches Urteil abzugeben und meinem inneren Gefühl Luft zu verschaffen. Und weiter nachgehakt: Scheint es nicht dann und wann, wenn nach eigenem Gusto das Maß voll ist, geradezu ein Gebot der Stunde zu sein, den Mund aufzutun und mit Verve dem Ärger und dem Groll im Herzen freien Lauf zu lassen? So jedenfalls erging es mir persönlich, als ich im vergangenen März den offiziellen Text der römischen Behörde las, dass es katholischen Priestern untersagt ist, gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen Gottes zuzusprechen. – „Vergebt einander – führt ein Leben in Liebe, seid barmherzig“: Wie soll ich denn jetzt dieser Maßgabe des Epheserbriefs nachkommen, bitte schön, wenn ich die „offizielle Linie“ unserer katholischen Kirche als unbarmherzig und gnadenlos (und ahnungslos obendrein) empfinde?

Ein echtes Dilemma, merke ich. Und wenn ich den Bogen etwas größer spanne und den „Ton“ in unserer Kirche von kirchlichen Amtsträgern, von Klerikern wie von Laien, während der zurückliegenden Monate auf mich wirken lasse, dann braucht man kein Insider dieser Kirche zu sein, um zu merken: Die kirchlichen Kontrahenten ergehen sich nicht gerade „in Güte“ zueinander und in der Bereitschaft, dem anderen zu vergeben. Ganz im Gegenteil: sie scheinen sich eher Gift geben zu wollen „in sprungbereiter Feindseligkeit“, wie der frühere Papst Benedikt einmal sogar schriftlich formulierte. Ich bin geneigt, dazuzufügen: „Halt wie im richtigen Leben.“ So wie es – leider – die Erfahrung nicht weniger Menschen zeigt in einem manchmal gnadenlosen Berufsleben – durchzogen von Futterneid und hartem Konkurrenzkampf. Was nun mit der Weisung aus unserer Lesung: Bitterkeit, Wut, Zorn verbannt aus eurer Mitte? Seid gütig zueinander?

Ich möchte Ihnen jetzt etwas vorlegen, das mich im Umgang mit diesem Schriftwort „kalt erwischte“. Und ich lade Sie ein, dass Sie sich nach dem Hören Ihr eigenes Urteil bilden. Derzeit befasse ich mich intensiv mit einem modernen Heiligen, John Henry Newman. Wie Sie vielleicht wissen, war dieser Newman im England des 19. Jahrhunderts anglikanischer Christ und Theologe. Nach vielen Jahren innerer Unruhe und Suche wurde es für Newman eine Frage des Gewissens, in unsere römisch-katholische Kirche zu konvertieren. Diesen Schritt tat er mit allen Konsequenzen. Für viele Christen ist Newman darum ein „Anwalt des Gewissens“. Es wundert nicht, dass Newman nach seiner Konversion in übler Weise von vielen Anglikanern mitgespielt wurde und er immer neu verleumdet wurde. Doch selbst als Kardinal wird er zur Zielscheibe von Anfeindungen aus der katholischen Kirche bis hinauf in höchste römische klerikale Kreise. Ein Sekretär des damaligen Papstes wird von Rom aus nicht müde, gegen Newman, wo immer es ging, Stimmung zu machen, ihn buchstäblich fertigzumachen. „Dr. Newman“, so schreibt Monsignore George Talbot einem Bischof nach England, „ist der gefährlichste Mann im Land.“ Mit ihm, so Talbot weiter, zieht in England ein „verabscheuungswürdiger Geist“ in der katholischen Kirche herauf. Newman, der wie kein anderer Einfluss auf junge Leute hatte, sollte kaltgestellt werden in seiner Heimat.

Man hätte erwartet, dass Newman auf solche bösen Intrigen entsprechend scharf reagieren würde. Doch keine Spur davon. In keinem einzigen seiner unzähligen Briefe und Predigten. Das ganze Gegenteil ist der Fall. Es ist geradezu unerhört, wie dieser Mann reagiert: mit welchem Aufwand an Güte, an Langmut, ja an Verständnis und Humor verteidigt er, entschuldigt er immer wieder. Und wo er nicht mehr rechtfertigen kann, was er an römischer Taktik, an Missgriffen, an Schikane und Ungerechtigkeiten durch kirchliche römische Behörden erfährt, da versucht er, es wenigstens verständlich zu machen (O-Ton): „All dies wird zum Guten gelenkt werden; es mag zu viel zeitlichem Unfug führen, aber es wird von oben gelenkt. Ich überlasse es Gott. Wir leben in einer Übergangszeit. Wir machen nichts besser, wenn wir ungehalten sind. Wir müssen geduldig warten, auch wenn der Sturm unser Leben lang währt.“

„Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat“ – mahnt der Epheserbrief. J.H. Newman hat damit ernst gemacht. 2019 hat ihn Papst Franziskus heiliggesprochen. Eine bleibende Provokation.