Blog - Das geistliche Wort

Uns steht ein Wahl-Herbst vor der Tür. Am 26. September wird der Bundestag neu gewählt, und für die Katholiken stehen am 7. November die Wahlen zum Kirchenvorstand, zum Gesamtpfarrgemeinderat und zu den Gemeindeausschüssen an.

Mit der Wahl zum Bundestag ist die Frage der Kanzlerschaft verbunden, und dieses Rennen ist noch völlig offen. Folgt man den Umfragen, ist noch keiner der Kandidaten oder die Kandidatin absoluter Favorit. Ich spüre bei vielen noch eine große Ratlosigkeit. Und der Wahlkampf lässt von Begeisterung für Demokratie noch wenig spüren.

Auch die Wahlen zu den kirchlichen Gremien sind noch von großer Skepsis begleitet. Gibt es genügend neue Kandidaten, finden wir jüngere Menschen, die sich einsetzen wollen? Lohnt es überhaupt, sich bei dem aktuellen Zustand von Kirche für die Arbeit in einem Gremium einzusetzen? Wo doch die notwendigen Reformen noch nicht einmal das Schneckentempo erreicht haben.

Ich schaue nach Afghanistan, wo die Taliban die Macht übernommen haben und die mühsam errungenen Fortschritte etwa für Frauen und Mädchen wieder in Frage gestellt sind. Ich höre immer wieder von den Syrern, die hier bei uns leben, dass in ihrem Heimatland keinerlei freie Wahl möglich ist.

Deshalb bin ich froh und glücklich, dass ich hier in einem Land leben darf, das demokratisch strukturiert ist. Ich weiß, dass Demokratie und demokratische Prozesse anstrengend sind. Es ist oft sehr mühsam. Und ein demokratischer Staat wird von Menschen gemacht, die irren können.

Ich kann aber nur dazu ermutigen und daran appellieren, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen – ob bei der Bundestagswahl oder später bei den Wahlen zu den Gremien der kirchlichen Mitverantwortung. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der ich Angst um meine Freiheit haben muss, in der ich mich nicht frei äußern kann, in der ich als Person nicht akzeptiert werde. Wenn ich die Nachrichten aus Afghanistan verfolge, bin ich zutiefst dankbar dafür, dass ich wählen kann zwischen Baerbock, Laschet und Scholz und ihren Parteien und nicht einem Regime ausgeliefert bin, bei dem ich Angst um mein Leben haben muss.

Indem ich die Wahlen ernst nehme, mache ich auch mit meinem Christsein ernst, so wie es schon das 2. Vatikanum vor 60 Jahren formuliert hat: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi (Gaudium et Spes).

Reinhard Bürger