26. Sonntag im Jahreskreis B, 26. September 2021

Das Evangelium ist schwere Kost: Dämonen – Verstümmelung – Hölle.

Da hätten wir uns für den Caritas-Sonntag etwas Leichteres, Lieblicheres gewünscht. Vielleicht etwas mit Nächstenliebe oder Barmherzigkeit … Aber genauso wie das Leben ist auch die Leseordnung der Kirche kein Wunschkonzert.

Dass dies zutrifft, mussten wir in den vergangenen 18 Monaten der Pandemie mit all ihren Auswüchsen immer wieder auf schmerzhafte Weise erfahren. Vieles ist anders gekommen, als wir uns dies gewünscht und erhofft hatten. Weder diejenigen, die als Familie mit Homeschooling – Homeoffice – Homekindergardening – Homework jonglieren mussten, noch diejenigen, die aufgrund von Kontaktbeschränkungen und Risikogruppenzugehörigkeit unter zunehmender Vereinsamung gelitten haben und vielleicht immer noch leiden, noch diejenigen, die ihre wirtschaftliche Existenz bedroht oder zerstört sehen – von den Menschen, die selbst an Covid-19 erkrankt sind oder einen lieben Menschen an diese Krankheit verloren haben, ganz zu schweigen. Niemand hat sich diese Situation gewünscht.

Und trotzdem oder gerade deswegen sind Menschen in dieser Zeit über sich hinaus-gewachsen. Menschen, die in den Pflegeberufen ihr Bestes gegeben haben und bis zur eigenen Erschöpfung gearbeitet haben, um für ihre Patienten da zu sein – oft mit der Folge, dass sie sich selbst mit Covid-19 infizierten. Engagierte in der Nachbarschaftshilfe, die in kürzester Zeit Einkaufspartnerschaften für den täglichen Bedarf auf die Beine gestellt haben, damit ältere Menschen sich nicht dem Risiko eines Einkaufs aussetzen mussten. Auch Formate in der Online-Beratung wie die Suizid-prävention oder die Schuldnerberatung haben sich als Glücksfall erwiesen, um Menschen weiterhin beistehen zu können. Schnell wurden analog arbeitende Berater geschult und in das Angebot der Online-Beratung eingebunden.

Und auch in der Seelsorge sind ganz neue Formen des „Füreinanderdaseins“ gewachsen. Gottesdienst-Teams, die neue Online-Formate geschaffen haben und zum Beispiel biblische Geschichten für Kinder ansprechend als Video produziert haben. Klinikseelsorger, die telefonisch Kontakt mit den Angehörigen von Koma-patienten gehalten haben, als diese aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht in die Klinik kommen konnten. Stellvertretend für die Familien saßen sie viele Stunden an Betten von Covid-Patienten und haben Hände gehalten, gesungen und gebetet.

In dieser Zeit haben wir gesehen, was aus Zusammenhalt, Sinn für das Gemeinwohl und Solidarität wachsen kann. Wir haben auf der anderen Seite aber leider auch erlebt, dass es nicht allen gelungen ist, in diesen Kategorien zu denken. Da brachen Ressentiments auf. Anschuldigungen und Schuldzuweisungen gegen Menschen, die anders sind, wurden lautstark kundgetan. Der Populismus hat zugenommen und ganze Gruppen der Gesellschaft aus dieser abgespalten. Da wurde gegen Einzel-personen, die man als Schuldige an der eigenen Situation ausgemacht hatte, gehetzt. Sie wurden – gerade auch in den sozialen Medien – beschimpft und verunglimpft und im schlimmsten Fall sogar tätlich angegangen. Der Druck und der Stress, der durch die Pandemie und die ergriffenen Maßnahmen auf jeder und jedem von uns lasten, brachen sich ungehindert Bahn. Auch im häuslichen Kontext, wo bei Gewalttaten ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war.

Vielleicht lässt uns dies einen Bogen zum Evangelium schlagen. Das, was Jesus mit dem Begriff Hölle belegt, ist der Ort der Gottesferne. Hölle ist der Ort, wo Gott mit seiner Botschaft keine Chance mehr hat. Wo ein Miteinander und Füreinander nicht mehr möglich ist. Unsere Hoffnung ist es, dass dieser Ort am Ende der Zeiten leer ist, weil der Mensch, der Gottes Angesicht geschaut hat, nicht mehr Nein sagen kann zu ihm und seiner Liebe. Doch das Ende der Zeiten ist noch nicht gekommen, und bis dahin werden wir immer wieder Orte der Gottesferne finden. Auch in eben beschriebenen Situationen. Wo die Botschaft von Liebe, Solidarität und Neubeginn nicht mehr durchdringt durch Hass, Blindheit und Wut.

Daher will die Caritas werben für eine Welt, in der wir die christliche Botschaft zur Richtschnur machen. Nicht nur im Kleinen, sondern politisch und gesamtgesellschaftlich. Nicht mit süßem Gesäusel, sondern mit Taten, die Hand, Fuß und Gesicht haben. Indem wir die, die sich beruflich in der Pflege unserer Kranken und Alten engagieren, unterstützen. In Wort und Tat, denn gute Pflege ist Menschenrecht. Genauso dürfen die, die zuvor schon benachteiligt waren und in der Pandemie durch die Sicherungssysteme gefallen sind, nicht dauerhaft ausgeschlossen werden. Das betrifft die Wohnsituation genauso wie den Bildungsanspruch von Kindern. Niemand darf sozial abstürzen. Und auch unsere Verantwortung für das Klima müssen wir verstärkt wahrnehmen, denn Klimaschutz kann nur durchgesetzt werden, wenn er sozial und gerecht ist.

Am heutigen Tag der Bundestagswahl hat jede und jeder Wahlberechtigte die Chance, seine Stimme für Demokratie und Gemeinwohl abzugeben. Die Zeiten der Wahlempfehlungen von der Kanzel sind lange vorbei, aber trotzdem möchte ich dafür werben, das eigene Stimmrecht wahrzunehmen.

Demokratie bewegt – sie ist aber darauf angewiesen, dass die in ihr lebenden Menschen sich beteiligen. Wenn wir alle mittun, uns mit Wort und Tat engagieren für die Botschaft eines menschenliebenden Gottes, dann kann ich mit Überzeugung und als Antwort auf viele brennende Fragen sagen: Das machen wir gemeinsam.

Manfred Wacker