7. Sonntag im Jahreskreis A, 19. 2. 2023
„Kann man mit der Bergpredigt eigentlich Politik machen?“, diese Frage haben sich Christen, die in der Politik sind, schon häufiger gestellt. Die Bergpredigt mit ihrem Gebot der Feindesliebe beispielsweise widerspricht doch dem gesunden Menschenverstand. Dem, der mich auf die eine Backe haut, soll ich auch die andere noch hinhalten? Wenn mir einer das Fahrrad wegnehmen will, soll ich ihm gleich noch mein Auto anbieten? Ich lasse mich über den Tisch ziehen, mir sind meine eigenen Interessen gleichgültig. Ich bin mir selbst nichts wert – das kann es doch wohl nicht sein.
Doch das Gebot der Feindesliebe gilt als das Gebot, was das entstehende Christentum auch vom jüdischen Glauben unterscheidet. Es ist ganz typisch für das Christentum. Für das Judentum gilt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Also: damit das Unrecht nicht eskaliert, darf ich mich nur soweit etwas nehmen, wie ich selbst geschädigt worden bin. Also, wenn mir einer einen Zahn rausgeschlagen hat, darf ich ihm nicht gleich den ganzen Kopf abhauen. Gewalt darf nicht eskalieren, das ist ja auch schon mal etwas. Es könnte auch noch schlimmer gehen. Also wird festgeschrieben: Gleiches mit Gleichem vergelten. So schreibt es das Gesetz fest. Es schreibt ferner fest, dass man unterscheiden muss zwischen Feind und Freund. Es fördert die Schwarz-Weiß-Malerei. Der Mensch wird in eine Schublade gesteckt. Und wie viele Schubladen gibt es heute: Freund – Feind; Schwarz – Weiß, Mann – Frau; Reich – Arm; 1. Welt – 3. Welt; Jung – Alt; Progressiv – Konservativ; Rechts – Links – Grün. Das ließe sich so fortsetzen.
Die Versuchung, die alledem zugrunde liegt, ist: die Beziehungen sind verhärtet. Es ist alles fest zementiert. Es gibt keine Bewegung. Es wird nur noch gerechnet, damit ich genau das wiederbekomme, was ich gegeben habe.
Die sogenannte Bergpredigt nimmt Bezug auf die Verhärtungen des Lebens und Zusammenlebens. Mir fällt dazu ein Bild ein: wir haben häufig bei den Versöhnungsfeiern mit den Firmbewerbern einen großen Eisklotz genommen. Dieser Eisklotz hat ordentliches Gewicht. Ich kann ihn nicht einfach zerschneiden oder aufteilen. Er ist starr und fest. So wie manches im Leben: unbeweglich, unberührt von menschlichen Schicksalen. Bis so ein Eisblock geschmolzen ist, dauert es seine Zeit. Beschleunigen kann ich es aber, wenn ich Salz dazugebe. Wir erinnern uns: vor 14 Tagen hörten wir, dass wir „Salz der Erde“ seien.
Und so verstehe ich auch die Bergpredigt Jesu. Er schlägt etwas vor, das mir auf den ersten Augenblick unmöglich erscheint oder utopisch. Und wenn ich die Bergpredigt zur Utopie erkläre, nehme ich ihr die Brisanz und die Sprengkraft, mache ich sie zu einem zahnlosen Tiger. Der Vorschlag Jesu aber bezieht sich darauf, dass das Verhärtete weich wird. Schubladen sollen geöffnet werden. Eis soll auftauen. Undenkbares soll möglich werden. Wo die einen sagen „alternativlos“, sollen andere sagen können: es gibt doch noch eine Möglichkeit.
Angst und Gewalt werden so verwandelt in Souveränität und Großherzigkeit. Wer souverän mit Bedrohungen umgehen kann, wird nicht klein, sondern stark. Wenn andere nicht aus ihrem starren Schubladendenken herauskommen wollen, wird derjenige stark, der neue Wege ins Spiel bringt. Das Undenkbare denken! Nicht naiv und kindisch sein, sondern großzügig denken und handeln. Wo mir das gelingt, verkörpere ich etwas von der Großzügigkeit Gottes, der die Sonne aufgehen lässt und dabei nicht unterscheidet zwischen Gut und Böse. Da ist Gott dann ungerecht, aber barmherzig.
Von Franziskus ist die Geschichte überliefert, dass er während des Fastens nachts aufsteht und mit einem seiner Brüder üppig isst, weil der Bruder nicht in der Lage ist, das Fasten durchzuhalten. Franziskus stellt sogar seine eigene Regel in Frage, weil der andere im Moment etwas anderes braucht, als die Regel es vorgibt. Damit die Regel nicht zu einem kalten Eisblock erstarrt, tut Franziskus das Salz der Liebe drauf.
Im politischen Leben scheinen sich die Fronten zu verhärten: allein die Bilder dieser Tage sprechen Bände: die Sicherheitskonferenz in München, der Krieg in der Ukraine – alles das zeigt, wie sehr unser Miteinander von harten, starren Eisklötzen geprägt ist. Da braucht es unbedingt die Energie der Bergpredigt. Und es zeigt letztlich: eine Politik ohne Bergpredigt ist unmenschlich.
Reinhard Bürger