5. Sonntag im Jahreskreis A (1 Kor 2,1-5)
Paulus zittert. Davon werden wir gleich hören. Zunächst aber möchte ich sagen, warum er zittert. Paulus war kein besonders interessant aussehender Mann. Er war eher klein und wohl auch etwas gebeugt von einer Krankheit. Paulus selber nennt sie einen „Stachel im Fleisch“ (2 Kor. 12,7). Würden wir ihm auf der Straße begegnen, würden wir ihn übersehen oder, wenn wir ihn sehen, wohl etwas Mitleid haben mit ihm.
Etwa mit Anfang vierzig war er auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Er reiste durch die heutigen Länder Türkei und Griechenland, um fremden Menschen die guten Nachrichten von Jesus zu verkündigen und christliche Gemeinden zu gründen. Auch die Gemeinde in der Weltstadt Korinth hörte gerne auf ihn. Er besuchte sie, feierte mit ihnen Gottesdienste und die Eucharistie, sprach mit Ältesten oder setzte sie als Gemeindeleiter ein. Wenn er wieder abgereist war, fühlten sich die Gemeinden erbaut und fröhlich. Jedenfalls eine gewisse Zeit. Später kamen ihnen dann wieder Zweifel an der Botschaft von Jesus. Das Leben wurde nicht zuckrig durch die neue Lehre. Dann schrieben die Gemeinden einen Brief an den Apostel und fragten ihn um Rat. Etwa so: Warum musste Jesus sterben? Er war doch der König der Liebe. Warum hat Gott das zugelassen? Auf die Fragen musste Paulus antworten. Wir hören jetzt, was er den Christen in Korinth geantwortet hat: (Lesen des Textes)
Jetzt wissen wir, warum Paulus zittert, sogar bebt. Offen bekennt er seine Schwächen. Die haben einen Grund: Es ist für Menschen nicht zu verstehen, warum Gott so handelt, wie er handelt. Es ist für uns Christen immer wieder eine bohrende Frage, warum der König der Liebe diesen bitteren Tod sterben musste – und Gott das nicht verhindert. Und wenn ein Mensch wie Paulus davon überzeugt ist, dass der Tod Jesu richtig ist, dies aber anderen dann kaum erklären kann, kann er schon mal zittern und beben.
Aber zugleich sagen: Ich, Paulus, will nicht gelehrt daherreden, sondern euch, meine Lieben, nur diese eine Wahrheit sagen: Gottes Geheimnis ist das Kreuz. Der König der Liebe stirbt am Kreuz, weil Hingabe die größte Liebe ist. Der König der Liebe ist darum der König der Hingabe.
Hier sollten wir jetzt einmal tief Luft holen und unsere Gedanken sammeln. Liebe ist Hingabe, ja. Manchmal. Liebe ist Rausch und Alltag – und Langeweile vielleicht manchmal auch. Aber in ihrem Wesen ist Liebe Hingabe; sogar dann, wenn vieles dagegen spricht. Wer wirklich liebt, kann auch mal auf sich und sein Wollen verzichten zugunsten eines oder einer anderen. Wir wissen oder haben gehört, wozu Menschen fähig sind, die einen anderen Menschen lieben: ihr Kind oder einen Partner, eine Partnerin; oder die Eltern. Sie können auf sich verzichten um anderer willen. Das darf niemand auf Dauer tun, aber manchmal eben doch.
Jesus hat nicht dauernd auf sich verzichtet, wie wir wissen. Er hat getan, wozu er sich berufen wusste. Aber in den entscheidenden Momenten am Gründonnerstag und Karfreitag hat er geahnt, dass es jetzt nicht um seinen Willen geht, sondern um den Willen Gottes. Wir dürfen annehmen, dass Jesus an diesen Tagen Gott nicht verstanden hat. Aber er hat etwas gefühlt: Jetzt geht es nicht um mich, sondern um den Willen Gottes. Der König der Hingabe gibt sich dem Willen Gottes hin. Indem er das tut, macht er alle unsere Sinne frei, um zu erkennen: Gottes Geheimnis ist nun das Kreuz.
Das müssen wir nicht verstehen. Ich meine das ernst. Wir können das mit unseren vertrauten Werkzeugen des Verstandes nicht fassen. Für uns ist Gott nicht logisch. Für die Liebe aber schon. Denn was wir mit dem Verstand nicht fassen können, das versteht die Liebe.
Liebe ist ein höheres Verstehen. Wenn damals das Kreuz Jesu die höchste Form der Hingabe an den Willen Gottes ist, dann ist für uns Menschen die Liebe die höchste Hingabe an den Willen Gottes. Manchmal – und ich betone: manchmal – setzen Menschen ihr eigenes Wollen außer Kraft um eines oder einer anderen willen. Dann haben sie eigentlich weder Zeit noch Lust noch Kraft, meinen sie – und tun es trotzdem; mit ihrer Zeit, einer gewissen Tapferkeit und kleinen Kräften. Sie pflegen andere oder verschenken etwas oder opfern sich auf für eine gute Idee. Und erinnern so daran: Gottes Geheimnis, das Kreuz, leuchtet in unserer alltäglichen Liebe; in unserer Fürsorge ebenso wie in unserem Mitfühlen mit anderen.
Wer das tut oder erlebt, fühlt, was der Verstand nicht begreifen kann: In jeder Liebe ist Gott. Und in einer gelegentlichen Hingabe ist die Liebe vollkommen. Sie ist die Kraft Gottes in unserem Leben.
Manfred Wacker