6. Sonntag im Jahreskreis C, 13. 2. 2022

Die biblischen Lesungen heute haben es in sich, sie setzen sich auseinander mit einer menschlichen Erfahrung, die wir auch in unserem Alltag immer wieder machen: mit der Schwarz-Weiß-Malerei. Wer sein Leben nur in Schwarz oder Weiß mal, blendet immer einen Teil der Wirklichkeit aus. Manche setzen eine rosarote Brille auf und sehen nur die angenehmen und schönen Seiten des Lebens. Andere finden in jeder Suppe mindestens ein Haar und können über alles meckern. Die einen nehmen die tollen Leistungen der Olympia-Teilnehmer wahr und übersehen völlig das diktatorische politische System in China. Andere meckern über die Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und übersehen, dass ihnen im Notfall immer noch ein Krankenhausbett zur Verfügung steht. Unser Leben ist eben nicht nur Schwarz oder Weiß.

Die beiden biblischen Texte greifen diese Erkenntnis auf.

Es gibt Menschen, die wie tot erscheinen, denen die Lebensenergie und die Lebenslust abhandengekommen sind. Menschen, die ohne positive Ausstrahlung sind, die alles immer schwarzsehen, die gottlos sind. Die anderen werden als froh und lebenslustig beschrieben, voll Saft und Kraft, Menschen, die Früchte bringen, die liefern. Sie werden als gott-erfüllte Menschen beschrieben.

Ähnlich urteilt der Abschnitt aus dem Neuen Testament: Es gibt die Armen und Hungernden, die Traurigen und Ausgeschlossenen. Sie werden ‚selig‘ genannt. Und die anderen, reiche, satte, die, die andere lächerlich machen, ihnen wird das ‘wehe‘ von Jesus angedroht. Und wir kennen beide: die Trauernden, die nach dem Tod des Partners nicht mehr ins Leben zurückfinden oder die Armen, die ihr Leben lang nicht aus der Hartz IV-Falle herauskommen. Und die, nur ihren Kontostand im Blick haben und die Frage, was mache ich nur mit meinem Geld?

Die Schrift hat beide Seiten im Blick. Und vermutlich gibt es immer auch die Zwischentöne zwischen Schwarz und Weiß. Und wenn wir menschliches Leben anschauen, dann haben immer die ganz verschiedenen Seiten: die gütige, warmherzige Frau, eine Kümmerin, die trotzdem mit der eigenen Tochter nicht mehr klarkommt. Den Geschäftsmann, der im Job über Leichen geht, und trotzdem ein liebevoller und einfühlsamer Vater ist.

Es hilft also nicht, zu schnell die Menschen mit einem Etikett zu verstehen. Die Jesuiten, eine der bedeutendsten Ordensgemeinschaften der Kirche, sprechen hier von der ‚Unterscheidung der Geister‘. Dabei berufen sie sich auf ihren Gründer, den heiligen Ignatius von Loyola. Den Lebensweg zu gehen, bedeutet, sich Tag für Tag mit den sich bietenden Alternativen auseinanderzusetzen. Mein Weg entsteht, wenn ich ihn gehe. Ignatius geht davon aus, dass Gott in uns allen spricht, durch Stimmungen und Gefühle, durch Träume, Erinnerungen, innere Bilder. Mein Weg ist keine Einbahnstraße oder ein Bahngleis, auf das ich einmal gesetzt bin und darauf dann bis an mein Lebensende daran gebunden bin. Jeden Tag darf ich mich neu orientieren. Denn Gott spricht jeden Tag neu zu mir. Und da sind die Vergleiche und Beispiele, die wir heute in aller Kürze gehört haben, durchaus eine Anregung, auch in allen Einschränkungen durch Pandemie oder der Erfahrung von wegbrechendem Vertrauen die Lust am Leben nicht zu verlieren: wir hören immer ‚selig‘ und ‚wehe‘, denn Leben ist immer schwarz und weiß.

Reinhard Bürger