18. Sonntag im Jahreskreis

Die Kirchen haben einen hohen Anspruch an sich selbst. Sie wollen den Hunger und den Durst der Menschen stillen, auf seine Bedürfnisse reagieren und ihnen geben, was sie zum Leben brauchen. So kann man es in vielen Pastoralkonzepten nachlesen. So haben wir lange das kirchliche Leben gestaltet. Wir haben Gruppen gebildet, wo sich die unterschiedlichen Menschen begegnen können: Krabbelgruppen, Jugendgruppen, Seniorenklubs und vieles mehr. Wir haben Gottesdienste für die verschiedenen Zielgruppen angeboten, viele gestalterische Elemente entwickelt, die unsere Angebote auch attraktiv gemacht haben. Wie gesagt: Um den Hunger der Menschen nach Gemeinschaft und nach gelebtem Glauben zu befriedigen und auf den Durst nach einem sinnerfüllten Leben zu antworten.

Jetzt, wo zahlreiche Angebote der Kirchen durch die Corona-Krise heruntergefahren sind, wo viele Veranstaltungen nicht stattfinden können, müsste deshalb ein Aufschrei durch die Republik gehen: Wir haben Durst! Wir haben Hunger! Die Menschen müssten doch an den Kirchen Schlange stehen, und rufen: Wir sind geistig und spirituell ausgetrocknet. Doch davon sind wir weit entfernt. Die Menschen strömen keineswegs auf analogem Weg in die Kirchen und löchern auch nicht auf digitalem Weg die Seelsorgerinnen und Seelsorger in ihrem Ruf nach einem Durstlöscher. Natürlich gibt es auch diejenigen, die deutlich machen, wie sehr sie Gottesdienst und Gesang im Gottesdienst vermissen, wie sehr sie auf die anderen warten, wie gern sie sich wieder treffen würden.

Aber die Mehrzahl unserer Zeitgenossen steht inzwischen auf bekannten Urlaubsrouten in den Schlangen, möchte wieder unbehindert shoppen gehen oder Sport machen oder dabei zuschauen. Mancher hat vielleicht am Beginn der Krise stillschweigend darauf gewartet, dass es irgendwann ein Datum gibt, wo es dann heißt: Jetzt kann alles wieder weitergehen so, wie es vorher war, wir können wieder durchstarten. Ich glaube wir wissen alle, dass es so nicht kommen wird. Wir können heute noch nicht sagen, wie wir Weihnachten feiern werden. Junge Leute, die ihre Hochzeit geplant hatten, wissen heute noch nicht, ob sie denn ihre Hochzeit im September oder Oktober groß feiern können.

Was ist in einer solchen Situation mit unserem Glauben los? In früheren Zeiten haben die Menschen in Notzeiten – etwa bei Pestepidemien – Prozessionen abgehalten, Gelübde gemacht, Opfer gebracht, um Gott zu bewegen, dem Graus ein Ende zu machen. Viele heute noch bestehende Traditionen oder Wegekreuze gehen auf diese Erfahrungen zurück und manche gelobte Prozession vor allem in ländlichen Gebieten, die heute noch stattfindet, geht auf eine solche Katastrophenerfahrung zurück. Inzwischen hat sich unsere Art zu glauben aber sehr verändert. Ein aufgeklärter Glaube macht nicht Gott für eine Epidemie verantwortlich und versucht auch erst gar nicht, Gott zum Eingreifen zu bewegen. Hier sind Naturgesetze am Werk und nicht der große Zauberer über den Wolken.

Nicht nur die Missbrauchsskandale haben eine Krise provoziert und auch massive Veränderungen bewirkt. Auch die Corona-Pandemie bewirkt eine Krise für die Kirche und für den Glauben. Die grundlegende Frage wird deshalb nicht sein, wann können wir uns wieder ohne Mundschutz begegnen, sondern „Was ist das eigentlich für ein Gott, an den wir glauben.“ Und „Wonach habe ich wirklich Durst und Hunger?“ „Brauche ich eigentlich den regelmäßigen Gottesdienst am Samstag oder Sonntag oder reicht mir eine Fernsehübertragung oder ein Gang durch die Schöpfung?“ Ungefragt sind die sozialen Dienste der Kirche weiterhin höchst notwendig und auch akzeptiert. Aber wie muss Kirche werden, wenn sie weiterhin in unserer Gesellschaft die Rede von Gott glaubwürdig führen will? Vielleicht ist die Krise eine Chance, um von den alles beherrschenden strukturellen Fragen authentischer und ehrlicher wieder von Gott zu sprechen. Dazu müssen Menschen sich aber auch äußern. Jeder von uns steht für seinen eigene Glauben ein und ist dafür verantwortlich. Ich warte nicht auf ein Wort aus Rom oder Paderborn, sondern auf Worte aus dem Volk Gottes, wo Menschen sagen: Das ist mein Durst, das ist mein Hunger. Das brauche ich wirklich und mit vielem anderen könnt ihr mich verschonen.

Das biblische Zeugnis spricht von 5 Broten und 2 Fischen, eine ganz bescheidene Grundlage. Aber diese Bescheidenheit gibt mir Hoffnung.