22. Sonntag im Jahreskreis B, 28./29. August 2021

Wir quälen uns seit 1 ½ Jahren mit immer neuen Corona-Regeln herum: Maske auf – Maske ab; Datenerfassung; Abstand halten; GGG; AHA-Regeln. Den meisten Menschen geht das inzwischen ziemlich auf die Nerven. Und alle paar Tage gibt es neue Richtlinien. Da verliert man auch leicht den Überblick.

Da kommen die biblischen Lesungen von heute gerade richtig: die alttestamentliche Lesung ermahnt dazu, sich an die geltenden Gesetze und Rechtsvorschriften zu halten und das Evangelium spricht von den Hygienemaßnahmen, die im Haushalt und vor allem beim Essen einzuhalten sind. Und wenn wir die geltenden Corona-Regeln mit den wenigen Vorgaben des Evangeliums vergleichen, dann sind die jüdischen Hygienevorschriften noch Peanuts gegen das, was uns heute umtreibt.

Dabei geht das Evangelium sehr polemisch mit den Hygienevorschriften um. Jesus setzt sich mit den Theologen und den Pharisäern auseinander und es hört sich tatsächlich so an, als würde er die geltenden Vorschriften missachten. Man könnte ihn so schnell in die Ecke der Corona-Leugner stellen, etwa mit der Behauptung: ist doch alles nicht so schlimm! Darauf kommt es doch gar nicht an. Dabei sind die erwähnten Hygienemaßnahmen für uns heute eigentlich selbstverständlich – auch ohne eine religiöse Begründung. Aber es geht Jesus auch gar nicht um äußere Hygiene, sondern um die Gesundheit der Seele. Er zählt die tödlichen Viren auf, die das Zusammenleben der Menschen zerstören: Neid, Diebstahl, Mord, Hochmut, usw. Wir könnten das gut ergänzen durch zeitgenössische Viren: Korruption, körperlicher und seelischer Missbrauch, Ausbeutung, Gewalt im Namen der Religion, Schädigung des Weltklimas, Missachtung von gesellschaftlichen Minderheiten. Die Logik Jesu ist es, von außen her auf das Innere des Menschen zu sehen, seine wirklichen Motive freizulegen, seine inneren Bedürfnisse wahrzunehmen, auch seine dunklen Seiten zu erkennen: seine Seele anzurühren. Deshalb sprechen wir von Seel-Sorge, wenn wir das Handeln der Kirche beschreiben. Damit soll die Sorge um den Leib nicht abgewertet werden. Leib und Seele gehören zusammen; nur die vordergründige Sorge für den Leib ist hohl, wenn nicht auch das seelische Leben des Menschen in den Blick kommt. Und wo das Handeln der Kirche die Seele der Menschen anrührt, hat sie eine Zukunft.

Als Motto könnte darüber das Wort stehen, das aus der alttestamentlichen Lesung kommt: „Hört, und ihr werdet leben!“ Das ist eine Verheißung, ein Wort, das in die Zukunft weist. Wir müssen uns hüten, dass wir bei allen Krisenmeldungen, die uns täglich erreichen, diesen Blick in die Zukunft nicht aufgeben. Und das heißt für uns konkret: auch wenn wir uns weiterhin in der Pandemie mit Vorschriften herumärgern müssen, die wir nicht immer nachvollziehen und verstehen können, so dürfen wir vielleicht verstärkt dem Impuls verspüren, dem nachzugehen, welche Hygiene auch unserer Seele guttut, welche Gespräche wir brauchen, wann wir uns Auszeiten gönnen, wie wir unsere Prioritäten im Leben neu setzen und wie wir uns auch von manchem trennen, was nicht mehr in unser Leben hineinpasst. Und wenn unsere Seele sich bei uns wohlfühlt, dann werden wir auch mit Vorschriften, Gesetzen und Regelungen leben können, die die Gesundheit unseres Körpers fördern: hört, und ihr werdet leben.

Reinhard Bürger