Mit der Fastenzeit verbinde ich immer noch das, was ich in der Kindheit gelernt habe: du darfst keine Süßigkeiten essen. Als Kinder mussten wir alle Bonbons, Lutscher und Schokoladen in eine Dose tun und sammeln. Ab Ostern durften wird dann das Gesammelte plündern und nach Herzenslust das süße Zeug genießen und auch dem Zahnarzt wieder eine Chance geben. Irgendwann hat sich für mich der Sinn dieses Tuns aber nicht mehr erschlossen.
Fastenzeiten haben nicht nur im Christentum eine lange Tradition und einen hohen Stellenwert. Die Fastenzeit – oder auch Österliche Bußzeit – bereitet die Feier des Osterfestes vor. Das wichtigste Fest im Laufe des Kirchenjahres braucht eine Zeit, in der man sich ganz darauf einstellen kann. Die Fastenzeit dauert 40 Tage. Dabei sind die Sonntage nicht mit eingerechnet, sie gehören streng genommen nicht zur Fastenzeit. Die Anzahl der 40 Tage orientiert sich an den 40 Jahren, die der Befreiungszug der Israeliten aus Ägypten gedauert hat. Fasten hat etwas zu tun mit der Erfahrung von Frei-Werden. Die 40 gilt als eine heilige Zahl.
Wie aber kann man als mündiger Christ die Fastenzeit gestalten, wenn sie uns als Menschen und Christen weiterbringen soll? Der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz (1542 – 1591) hat gesagt: „Es ist besser, die Zunge zu beherrschen, als zu fasten bei Wasser und Brot“. Das zeigt, worum es geht: menschlich reifer zu werden, dem Leben neu einen Inhalt zu geben, sich frei machen von Zwängen des Terminkalenders. Sich Zeiten gönnen, die nur Dir gehören. Die Frage nach Gott neu stellen. Achtsam werden, damit mein Leben stimmiger wird. Das tun, was ‚dran‘ ist: „Wenn fasten, dann fasten; wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn“, so sagt es die kluge Mystikerin Teresa von Avila (1514 – 1582), ebenfalls aus Spanien.
Es gibt aber auch Zeiten, die eine besondere Aufmerksamkeit erfordern, zur Zeit ist es der Krieg in der Ukraine. Mahnwachen, Gebetszeiten, offene Kirchen, Solidarität mit denen, die vom Krieg betroffen sind, auch das sind besondere Zeiten für das Fasten. In diesem Jahr fällt die kirchliche Fastenzeit mit dieser besonderen Notsituation zusammen. Vielleicht ist das eine besondere Herausforderung, sich zu fragen, was denn diese Herausforderung für mich persönlich bedeutet.
Reinhard Bürger